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Virtuelle Ausflüge für Senioren

Magdeburger Agentur bringt mit EU-Mitteln VR-Brillen in den Pflegealltag

(Von Alexander Lorber, 06.02.2020)

Zwei Jahre lang tüftelte die Medienexpertin Roxana Hennig mit ihrem Team von der Magdeburger Agentur Maywood Media an einer ungewöhnlichen Idee: Sie wollten älteren Menschen, die im Pflegeheim leben, mit „Virtual Reality“(VR)-Brillen spannende Ausflüge zu Orten ermöglichen, die die Senioren aus eigener Kraft nicht mehr erreichen können. Daraus hat sich das Netzwerk „Medien & Pflege“ entwickelt. Darin haben sich Fachleute aus der Medien- und aus der Pflegebranche zusammengetan, um das Geschäftsmodell für den Einsatz im Pflegealltag so einfach wie möglich zu gestalten. Das Projekt wird von der EU mit Mitteln aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) im Rahmen des Programms „Cross Innovation“  gefördert. Ziel dieses Programms ist es, den Marktzugang für Unternehmen der Kreativwirtschaft durch die Förderung von Netzwerken zu verbessern. Im ersten Pilotversuch kam das virtuelle Reisen mit der VR-Brille bei den Seniorinnen und Senioren überraschend gut an. „Ich war froh, als sich bestätigt hat, dass die virtuellen Spaziergänge älteren Menschen sehr viel Freude machen“, sagt Roxana Hennig.

Mehr als eine Spielerei
Wer noch nie eine VR-Brille aufgesetzt hat, wird im ersten Moment staunen. Der Blick durch die Spezialbrille vermittelt ein einzigartiges Gefühl der Präsenz. Man kann den Kopf in alle Richtungen drehen, in einem Kirchengewölbe zum Beispiel hinauf zur Decke schauen oder von einer Strandpromenade auf das Meer hinausblicken. In der Fachwelt verwendet man dafür den Begriff der „Immersion“. Also der Eindruck, hautnah am Ort des Geschehens zu sein. „Während jüngere Menschen Virtual Reality vor allem aus dem Gaming-Bereich kennen, haben wir uns Gedanken darüber gemacht, wie man ältere Menschen an das VR-Erlebnis heranführen kann“, erzählt Roxana Hennig. Sie fuhr  mit ihrem Team und einer Kamera, die 360-Grad-Bilder aufzeichnet, an verschiedene Orte in Deutschland und auf der ganzen Welt, um kurze „Reise-Videos“ für die VR-Brille zu drehen. „Wir haben Eindrücke eingefangen, an die sich die älteren Menschen gerne erinnern. Ein Spaziergang durch London oder ein Besuch auf einer Pferdekoppel“, berichtet Hennig. Die Videos haben sie dann mitsamt VR-Brille ins Pflegeheim mitgebracht. So konnten die Senioren vom Sofa aus in die virtuelle Realität eintauchen. „Viele haben sich direkt an Orte erinnert, wo sie schon einmal waren“, so Hennig. Manche waren auch einfach überrascht, wenn sie plötzlich im Wasser standen oder vor ihnen ein Pony aufgetaucht ist. „Der Ausbruch aus dem Pflegealltag, das angenehme Gefühl, mal an einem ganz anderen Ort zu sein, hat die Senioren richtig begeistert.“

EFRE ermöglicht Netzwerkarbeit
Die finanzielle Unterstützung aus dem EFRE ermöglichte Roxana Hennig, sich ein interdisziplinäres Team aus Fachleuten für das Vorhaben an Bord zu holen. Zum Netzwerk gehören eine Designagentur aus Dessau-Roßlau, eine Fotografin, eine Tagespflegeeinrichtung und eine Praxis für Ergo- und Physiotherapie aus Magdeburg. „Anfangs waren unsere Partner aus der Pflegebranche noch unsicher, ob sich die Markteinführung der VR-Anwendung in der Pflegepraxis als nützlich erweist“, erzählt Hennig. „Als wir die Brillen zum ersten Mal ins Pflegeheim mitgebracht haben und die Senioren davon ganz angetan waren, legte sich diese anfängliche Skepsis aber schnell.“ Das lag auch daran, dass Roxana Hennig und ihre Projektpartner die Anwendung so simpel wie möglich gestaltet haben. Die VR-Brillen funktionieren ganz autark, ohne dass ein Computer angeschlossen werden muss. Die Senioren brauchen lediglich die Brille aufsetzen. Dann können sie über ein einfaches Menü das gewünschte Video auswählen. Die Videos haben alle eine Dauer von circa 15 Minuten und laufen nach dem Start komplett automatisch ab.

Weitere Anwendungsgebiete in Sicht
Wenn sich der Einsatz der VR-Brillen im Pflegealltag bewährt, würde Roxana Hennig das Geschäftsmodell gerne auch auf weitere Zielgruppen ausweiten. So haben sich schon Interessenten aus dem klinischen Bereich bei ihr gemeldet. Dort könnte das Konzept zum Beispiel für Menschen eingesetzt werden, die längere Zeit einer belastenden Situation wie einer Chemotherapie ausgesetzt sind. „Die VR-Brille könnte die Patienten bei der langwierigen Behandlung auf andere Gedanken bringen“, meint Hennig. Darüber hinaus könnten die realistischen Eindrücke von bekannten Orten an Demenz erkrankten Menschen helfen, indem sie sich an Momente aus ihrem Leben erinnern und positive Gefühle entwickeln. Natürlich lässt sich die Krankheit dadurch nicht aufhalten. Aber der Ausbruch aus der Monotonie des Alltags kann eine willkommene Ablenkung sein, die den Betroffenen gut tut: „Auch die Pflegerinnen und Pfleger haben uns signalisiert, dass sie sich über jede Möglichkeit freuen, den älteren Menschen ein Lächeln auf das Gesicht zu zaubern“, sagt Roxana Hennig. In diesem Jahr will das Netzwerk „Medien & Pflege“ zusammen mit den Entwicklern prüfen, ob sich die Inhalte für die VR-Brillen noch individueller auf die Nutzer zuschneiden lassen. „Gerade für Demenzpatienten wäre es eine tolle Erfahrung, wenn sie ihre frühere Heimat oder Urlaubsorte, an die sie sich erinnern, noch einmal virtuell besuchen könnten“, findet Roxana Hennig. Aber das ist noch Zukunftsmusik. Die jetzigen VR-Videos für Pflegeheime sollen noch im Frühjahr 2020 marktfähig sein.

Hier finden Sie weitere interessante Beispiele, wie die Menschen von EU-Fördermitteln aus ELER, EFRE und ESF in Sachsen-Anhalt nachhaltig profitieren.

Weitere Quellen:

Zum Netzwerk „Medien & Pflege“: https://www.remmy-vr.com

 

Portal „Europa vor Ort in Sachsen-Anhalt“ der Europäischen Kommission