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Ein Leben unter Strom

Das Fraun­ho­fer In­sti­tut Mag­de­burg will er­neu­er­ba­re En­er­gien zu­ver­läs­sig ma­chen

 

Von Bi­an­ca Kahl

04.07.2016

 

"Das Netz lebt." Das sind Worte von Prze­mys­law Ko­mar­ni­cki, der nicht etwa Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­ker ist, son­dern Wis­sen­schaft­ler. Dr.-Ing. Prze­mys­law Ko­mar­ni­cki ar­bei­tet als Pro­jekt­lei­ter für das Fraunhofer-​Institut für Fa­brik­be­trieb und -​automatisierung IFF in Mag­de­burg. Seine Worte "Das Netz lebt" be­zie­hen sich auf das Strom­netz, denn seit Jah­ren be­fasst er sich mit Schwan­kun­gen darin. Vor allen Din­gen ar­bei­tet er daran, wie man es sta­bi­ler ma­chen kann.

Zwar habe Deutsch­land eine hohe Ver­sor­gungs­si­cher­heit. "Das Strom­netz ist zu 96 Pro­zent zu­ver­läs­sig. Mit Pro­ble­men wie Groß­stö­run­gen müs­sen wir heute nicht kämp­fen. Aber wenn es ir­gend­wann so­weit ist, dann sind wir zu spät dran, um uns ein­zu­ar­bei­ten." An­lass für die For­schung Ko­mar­ni­ckis ist die En­er­gie­wen­de. Kohle, Öl und Kern­ener­gie sol­len lang­sam in den Hin­ter­grund rü­cken, wäh­rend sich die Strom­ver­sor­gung mehr und mehr aus er­neu­er­ba­ren En­er­gien wie Wind­kraft und Sonne speist.

Sachsen-​Anhalt hängt da nicht zu­rück. Im Ge­gen­teil: Es spielt ganz vorne mit.  Jede zwei­te Ki­lo­watt­stun­de wird hier aus Wind, Sonne und Bio­mas­se er­zeugt. Etwa 97 Wind­kraft­an­la­gen mit ins­ge­samt 2700 Wind­rä­dern sowie rund 23.000 Photovoltaik-​Anlagen ste­hen im Land der er­neu­er­ba­ren En­er­gien. Schät­zun­gen zu­fol­ge lag im Jahr 2015 der An­teil an der Brut­to­strom­erzeu­gung bei 48 Pro­zent.

Schon heute könn­te eine Klein­stadt oder ein In­dus­trie­park al­lein mit er­neu­er­ba­ren En­er­gien ver­sorgt wer­den. Doch es ha­pert noch an der Zu­ver­läs­sig­keit und der Sta­bi­li­tät. Die Ver­füg­bar­keit von Wind und Sonne lässt sich nun ein­mal nicht de­le­gie­ren. Gleich­zei­tig schwankt der Ver­brauch je nach Be­darf, Tages-​ und Jah­res­zeit. "Der Ver­brauch ist we­sent­lich dy­na­mi­scher als noch vor ei­ni­gen Jah­ren. Jeder Mensch hat an­de­re Ge­rä­te und an­de­re Ge­wohn­hei­ten", sagt Ko­mar­ni­cki. "Hinzu kom­men Pro­gno­se­feh­ler und Schwan­kun­gen auf­grund un­ter­schied­li­cher Netz­schal­tun­gen." Er hat es ja be­reits ge­sagt: Das Netz lebt, ist un­ter­schied­lichs­ten Ein­flüs­sen un­ter­wor­fen. Doch es ist nicht mehr un­be­re­chen­bar.

Dazu trug auch das For­schungs­pro­jekt "RE­STa­bil" bei, das das Fraun­ho­fer IFF in den Jah­ren 2014 und 2015 ge­mein­sam mit der Otto-​von-Guericke-Universität und In­dus­trie­part­nern aus der Re­gi­on ab­sol­viert hat. Zu­sam­men mit der ABO-​WIND AG, ZERE e.V., Mit­netz Strom und GETEC Heat & Power stell­te Ko­mar­ni­cki ein zehn­köp­fi­ges Team zu­sam­men. Es be­fass­te sich damit, wie de­zen­tra­le An­la­gen zur En­er­gie­er­zeu­gung die Span­nung im Netz un­ter­stüt­zend re­gu­lie­ren könn­ten. Unter an­de­rem be­ob­ach­te­te das Team in­ten­siv das Um­spann­werk in Radis im Kreis Wit­ten­berg. "Wir haben in der Rea­li­tät aus­pro­biert, was an­de­re nur im Labor be­ob­ach­ten. Nur so konn­ten wir her­aus­fin­den, was tech­nisch über­haupt mög­lich ist."

Dabei ent­stand eine spe­zi­el­le Soft­ware, über die meh­re­re Photovoltaik-​, Wind- oder Bio­gas­an­la­gen zu einer ein­zi­gen gro­ßen, vir­tu­el­len An­la­ge zu­sam­men­ge­schal­tet wer­den kön­nen. Das Pro­gramm über­wacht die ge­ern­te­te Leis­tung im ge­sam­ten Netz sowie den ak­tu­el­len Ver­brauch und re­gu­liert au­to­ma­tisch die ein­zel­nen An­la­gen. Ein Wind­rad könn­te also zum Bei­spiel ge­dros­selt oder ab­ge­schal­tet wer­den. Wäh­rend einer öf­fent­li­chen Prä­sen­ta­ti­on in Mag­de­burg de­mons­trier­te Ko­mar­ni­cki die Funk­ti­ons­wei­se und steu­er­te live vor allen Zu­schau­ern die Bio­gas­an­la­ge Kem­berg bei Wit­ten­berg aus der Ferne. Auf dem Bild­schirm war deut­lich zu sehen, wie das die Span­nung im Strom­netz ver­än­der­te.

Um an die­sen Punkt zu kom­men, brauch­te es fast ein Jahr Forschungs-​ und Pro­gram­mier­ar­beit sowie rund 1,3 Mil­lio­nen Euro Ka­pi­tal. Zum größ­ten Teil wurde dies aus dem Eu­ro­päi­schen Fonds für re­gio­na­le Ent­wick­lung (EFRE) ge­för­dert. "Wir haben uns ganz auf die spe­zi­el­len Be­dürf­nis­se Sachsen-​Anhalts kon­zen­triert. In an­de­ren Re­gio­nen muss man wie­der neu schau­en", er­klärt Prze­mys­law Ko­mar­ni­cki.

Nun gehe es darum, bei Lang­zeit­stu­di­en die Er­geb­nis­se zu be­stä­ti­gen und – nach den tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten – auch die wirt­schaft­li­che Ver­mark­tung aus­zu­lo­ten.  "Das große Ziel ist: Wir müs­sen den Be­trei­bern der An­la­gen schmack­haft ma­chen, sich für die Netz­sta­bi­li­sie­rung zu en­ga­gie­ren." Bis­her seien hin­ge­gen vor allen Din­gen die För­der­sät­ze aus dem EEG ren­ta­bel ge­we­sen, dem Ge­setz für den Aus­bau er­neu­er­ba­rer En­er­gien. Des­halb würde auch noch immer we­sent­lich mehr er­neu­er­ba­re En­er­gie pro­du­ziert als be­nö­tigt.

Doch diese För­der­sät­ze – die ge­si­cher­ten Ein­kom­men – gehen oh­ne­hin mit jeder No­vel­lie­rung des Ge­set­zes zu­rück. Pro­duk­ti­on al­lein ge­nügt nicht mehr. Die An­for­de­run­gen an die An­la­gen stei­gen. Sie müs­sen nicht ein­fach nur so viel wie mög­lich En­er­gie lie­fern, son­dern sich sinn­voll in die Strom­ver­sor­gung in­te­grie­ren. Neue Dienst­leis­tun­gen müs­sen er­dacht und an­ge­bo­ten wer­den. "Wir be­trach­ten jetzt Fälle, die es heute noch gar nicht gibt", sagt Ko­mar­ni­cki – auch im Hin­blick auf sein ak­tu­el­les Pro­jekt: der Ent­wick­lung von Dy­na­Grid­Cen­tern.

Dabei be­fasst er sich mit sei­nem Team ex­pli­zit mit den Über­tra­gungs­leit­war­ten im Strom­netz. Sie sol­len so um­ge­baut wer­den, dass sie das ge­sam­te Sys­tem zu­künf­tig selb­stän­dig über­wa­chen, aus­wer­ten und steu­ern kön­nen. Doch bis dahin wer­den Ko­mar­ni­cki und sein Team noch eine ganze Weile unter Strom ste­hen. Bis­her fällt seine Bi­lanz al­ler­dings po­si­tiv aus: "In Sachsen-​Anhalt haben wir das Po­ten­zi­al, die­sen Weg der En­er­gie­wen­de tat­säch­lich wei­ter zu gehen und Er­neu­er­ba­re En­er­gien fest zu eta­blie­ren."