Menu
menu

Ein Observatorium für viele Zwecke

Auf dem Strohberg in Quedlinburg entsteht ein EU-gefördertes Kulturzentrum

(Von Walter Liedtke, 03.05.2019)

Im September 2018 erhielt der Verein „Sternwarte Quedlinburg“ die Zusage über 318.000 Euro Fördermittel aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE). Damit wird bis Frühjahr 2020 ein ganz besonderes Objekt auf dem Strohberg bei Quedlinburg umfassend instandgesetzt und einer neuen Nutzung zugeführt: Ein 100 Jahre alter Druckerhöhungs-Hochbehälter (Zisterne), in dem früher das Wasser für die Versorgung von Quedlinburg gespeichert wurde, dient künftig als Haus für die Kultur und Bildung. Oben auf dem zweigeschossigen Turm des Gebäudes hat bereits eine Sternwartenkuppel Platz gefunden, die der Verein als Volks- und Schulobservatorium nutzt. Im zweiten Schritt wird jetzt der 322 Quadratmeter große Raum der unterirdischen Zisterne mit EU-Mitteln komplett saniert – für eine neue kulturelle und touristische Nutzung. Die Stadt Quedlinburg feiert in diesem Jahr das 25-jährige Jubiläum der Ernennung der Quedlinburger Altstadt zur Welterbestadt der UNESCO. Beim Sachsen-Anhalt-Tag, der aus diesem Anlass vom 31. Mai bis 2. Juni 2019 in Quedlinburg stattfindet, ist auch die Sternwarte geöffnet. „Über spezielle Sonnenteleskope können die Besucher einen Blick auf den einzigen Stern werfen, der tagsüber zu sehen ist,“ weiß der Vereinsvorsitzende Hendrik Brücke. In der Quedlinburger Innenstadt wird die Sternwarte an einem Info-Stand zeigen, welches kulturelle Leben 2020 in die alte Zisterne einziehen wird.

Aus dem Schieberhaus wurde eine Volkssternwarte
Hendrik Brücke und seine Mitstreiter hatten zuerst nur eine Volks- und Schulsternwarte im Blick. Die Umsetzung hat 2007 mit dem Erwerb einer Zeiss-Sternwartenkuppel begonnen, die in einer Schule im 36 Kilometer entfernten Oschersleben verschrottet werden sollte: „Eine Woche vorher haben wir sie abgeholt und danach restauriert“, berichtet Hendrik Brücke. „Damit hatten wir den Kopf, aber uns fehlte der Rumpf.“ Auf der Suche nach einem geeigneten Standort wurde der Verein im Oktober 2009 auf das Schieberhaus des Wasserdruck-Hochbehälter auf dem Strohberg aufmerksam. Mit Hilfe des Quedlinburger Oberbürgermeisters Dr. Eberhard Brecht konnten sie schnell vereinbaren, das zweistöckige sogenannte Schieberhaus zur Sternwarte umzubauen. Dafür riefen sie den Verein „Sternwarte Quedlinburg“ ins Leben. Sponsoren, private Spenden und viel Eigenleistung ermöglichten es, ein neues Treppenhaus einzuziehen, eine vibrationsfreie Betondecke zu gießen, einen neuen Dachstuhl zu errichten und die Außenhaut der Observatoriumskuppel zu restaurieren. „Im September 2015 hat die Krönung des Gebäudes mit der Kuppel stattgefunden.“ Seit 2016 ist die Volkssternwarte funktionsfähig. Sie wird auch intensiv von Partnervereinen wie den Sternfreunden Aschersleben, der Astronomischen Gesellschaft Magdeburg und der Astronomischen Station Johannes Kepler Kanena genutzt. 
Doch was sollte aus der großen Wasserzisterne werden, einem unterirdischen Kuppelsaal von 322 Quadratmetern?

CLLD-Ansatz wird deutschlandweit nur in Sachsen-Anhalt umgesetzt
Aus der Stadtverwaltung Quedlinburg kam der Tipp an den Verein, sich an die LEADER-Regionalgruppe Nordharz zu wenden, um Fördermittel für eine neue Nutzung der Zisterne zu bekommen. Der Hintergrund: Sachsen-Anhalt hat EU-weit eine Vorreiterrolle beim sogenannten „Community-Led Local Development“ (CLLD), also bei der lokalen Entwicklung unter der Federführung der Bevölkerung. 23 regionale Gruppen aus Sachsen-Anhalt erarbeiteten Vorschläge für Projekte direkt vor der eigenen Haustür: Der Verein „Sternwarte Quedlinburg“ hatte Glück: Er profitiert von der neuen sogenannten „Kulturerbe-EFRE-Richtlinie“. Dadurch werden „Investitionen zur Verbesserung der Präsentation und nachhaltigen Nutzung des kulturellen Erbes“ unterstützt. „Wir haben gemeinsam mit unseren Kooperationspartnern einen Projektsteckbrief geschrieben und im Jahr 2016 hat dann die Lokale Aktionsgruppe Nordharz beschlossen, dass uns eine Förderung zusteht“, berichtet der Vereinsvorsitzende. Dafür wurde der Verein auch offiziell der Besitzer des Gebäudes und Mitglied im „Dachverein Reichenstrasse“. Dieser Verein ist in Quedlinburg ein etablierter Anbieter von Kinder- und Jugendarbeit, Lesungen und kleinen Konzerten. Er wird die Zisterne als zusätzlichen Veranstaltungsort nutzen. Der zweite Kooperationspartner ist die Quedlinburg-Information. „Sie wollen die eindrucksvolle Zisterne in ihre touristischen Führungen über den Münzenberg mit aufnehmen“, berichtet Brücke. Verschiedene kleine Ausstellungen werden der Geschichte des Gebäudes gelten und an den Quedlinburger Pfarrer Johann-Heinrich Fritsch erinnern, der als Hobbyastronom im Jahr 1821 entdeckte, dass sich ein Stern im Sternbild „Fuhrmann“ alle 28 Jahre verdunkelt. Außerdem werden in einer Ständigen Galerie Ölgemälde gezeigt, die von den sowjetischen Kosmosmalern Andrej Sokolow und Alexej Leonow stammen. Leonow war der erste Mensch, der 1965 in den freien Weltraum ausgestiegen war. Aufgrund einer Patenschaft zwischen dem Sternenstädtchen bei Moskau und dem Klubhaus der Hüttenarbeiter in Eisleben kamen mehr als 100 dieser Gemälde in die damalige DDR. Sie sollen hier im Wechsel gezeigt werden. „Wir wissen, dass die Resonanz auf diese kulturellen Angebote sehr gut sein wird, denn wir machen seit Jahren beim Tag des Offenen Denkmals mit“, berichtet Hendrik Brücke.

Eine trockene Decke und eine gute Heizung
Bis Frühjahr 2020 wird mit kleinen Baggern zunächst die Erde über der Zisterne abgetragen und die sechs Halbtonnengewölbe werden von oben abgedichtet. Neue Licht- und Stromkabel werden über alte Lüftungsschächte eingebracht und eine geeignete Klimatechnik eingebaut. Ein Student der Heizungs- und Klimatechnik hat dem Verein im Rahmen seiner Masterarbeit ein Konzept erarbeitet, wie man künftig in der Zisterne für genügend Frischluft und die richtige Luftfeuchtigkeit sorgen kann. „Die Klimatechnik ist das Aufwändigste an dem ganzen Projekt“, so die Erfahrungen des Vereinsvorsitzenden. Er ist zuversichtlich, die Arbeiten bis zum Frühjahr 2020 abschließen zu können. Danach werden die ersten kulturellen Veranstaltungen in der alten Zisterne stattfinden.

Hier finden Sie weitere interessante Beispiele, wie die Menschen von EU-Fördermitteln aus ELER, EFRE und ESF in Sachsen-Anhalt nachhaltig profitieren.

Weitere Quellen:


Portal „Europa vor Ort in Sachsen-Anhalt“ der Europäischen Kommission


Projektvorstellung durch die Lokale Aktionsgruppe Nordharz