Willkommenskultur in Sachsen-Anhalt
Modellprojekt unterstützt zwölf Ausländerbehörden mit EU-Mitteln
(Von Alexander Lorber, 19.09.2019)
Auf der einen Seite sollen Beschäftigte in den Ausländerbehörden Zugewanderten das Gefühl geben, dass sie hier gebraucht werden und am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Andererseits haben sie klare Weisung, im Sinne einer Ordnungsbehörde nach Recht und Gesetz über ihren Aufenthalt zu entscheiden. Hinter jeder Entscheidung steckt ein persönliches Schicksal. Doch gehen zu viele Anträge ein und sind zu wenige Sachbearbeiter verfügbar, steigt der Druck auf das Personal in den Behörden. Mit finanzieller Unterstützung des Landes und aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) haben die Beratungsfirmen Ramboll Management Consulting und IMAP zwischen 2016 und 2018 insgesamt zwölf Ausländerbehörden in Sachsen-Anhalt dabei unterstützt, mit den hohen Anforderungen besser zurechtzukommen. Mit Erfolg: Das Arbeitsklima in den Behörden hat sich erheblich verbessert.
Erfolgsmodell im Burgenlandkreis
Wie effektiv die Zusammenarbeit der Verwaltung beim Thema Asyl und Migration funktionieren kann, zeigt ein Leuchtturmprojekt im Burgenlandkreis. Hier hat Ramboll in enger Kooperation mit dem Landkreis das Integrations- und das Ausländeramt zur Migrationsagentur vereint. Auch Abteilungen des Jugendamtes und vom Wirtschaftsamt sind im Haus untergebracht. Die neue Agentur hat im April 2018 in Naumburg ihre Türen geöffnet und bietet alle Leistungen unter einem Dach. Zudem sind die Beschäftigten mit vielen Partnern und freien Trägern aus Land und Bund eng vernetzt. „Das verkürzt nicht nur die Kommunikationswege, sondern führt auch dazu, dass zum Beispiel ein Asylsuchender alle Behördenschritte in kurzer Zeit und an einem Ort durchlaufen kann“, erklärt Philipp Bredel, der das Projekt bei Ramboll Management Consulting mitbetreut hat. „Es wurde sogar ein farbcodiertes Wegweisersystem für die Migrationsagentur erdacht, damit sich Menschen mit geringen Deutschkenntnissen besser in der Behörde orientieren können.“
In zwei Jahren mit ESF-Mitteln eine Menge bewegt
Solche Neustrukturierungen waren dringend erforderlich, denn zum Zeitpunkt der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 erreichte die Zahl der Asylsuchenden in Sachsen-Anhalt einen Spitzenwert von 34.340 Personen. „Seither hat sich die Lage zwar entspannt, aber als wir das Projekt im November 2016 starteten, war die Zahl der Beschäftigten an vielen Standorten noch nicht ausreichend aufgestockt, um die vielen Fälle rasch zu bearbeiten“, sagt Gisela Horstmann vom Projektmanagement bei Ramboll. Also lud man die Ausländerbehörden im Land ein, sich am Projekt „Willkommenskultur in Sachsen-Anhalt“ zu beteiligen. Die Beratungsfirmen begleiteten die Behörden zwei Jahre und stärkten sie bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben und in ihrer Rolle als Dienstleister. Horstmanns erste Analyse des Ist-Zustandes zeigte: Die Aufgaben und Zuständigkeiten bei der Integration von Asylbewerbern und Migranten sind häufig auf zu viele Behörden, Ämter und Orte verteilt. „Wir wollten die Zuständigkeiten und Prozesse in den Ausländerbehörden deshalb grundlegend optimieren“, so Horstmann.
Der Mensch steht im Mittelpunkt
Zunächst nahmen neun Ausländerbehörden am ESF-Projekt teil. Im Januar 2018 kamen drei weitere Behörden hinzu. Dreh- und Angelpunkt waren von Anfang an die Beschäftigten: „Sie sind diejenigen, die den Weg für eine gelungene Integration bereiten können, indem sie für ein zügiges Verfahren sorgen und die richtigen Kontakte zu anderen Behörden wie dem Jobcenter herstellen“, erklärt Horstmann. Also sprachen die Projektbeteiligten direkt mit den Beschäftigten vor Ort, um mit ihnen die Abläufe zu erörtern: Wie funktioniert die Teamarbeit? Wie intensiv sind die Kontakte zum Jobcenter, Jugend- und Sozialamt? Nicht zuletzt stand auch die Selbstwahrnehmung der Beschäftigten im Fokus: Sehen sie sich als Dienstleister und die Asylsuchenden als Kunden, oder sehen sie ihre Klientel als Belastung? „Viele Beschäftigte sahen sich vor allem in der Zwickmühle gefangen, den Zugewanderten zwar im Sinne eines Dienstleisters helfen zu wollen, sie aber aufgrund der hohen Anzahl an neu eingehenden Asylanträgen letztlich doch als Verwaltungsfälle behandeln zu müssen“, sagt Horstmann.
Schulung auch für Führungskräfte
Die Beraterinnen und Berater nahmen auch zu den Führungskräften Kontakt auf. „Das Thema Führung kommt im öffentlichen Dienst häufig viel zu kurz“, so Horstmann. „Im Gespräch mit den Führungskräften erfuhren wir, dass sie häufig selbst operativ in die Fallbearbeitung eingebunden waren.“ Dadurch blieb weniger Zeit für eine effektive Mitarbeiterführung. Also organisierte man eine zentrale Führungskräfteentwicklung, im Rahmen derer sich die Führungskräfte untereinander austauschen und Problemlösungsstrategien entwickeln konnten. „Ich habe mich sehr gefreut, dass diese regelmäßigen Treffen auch nach Projektabschluss weiterhin von den Führungskräften beibehalten worden sind und sie den Austausch und die gegenseitige Beratung fortführen“, bestätigt Horstmann. Auch zwischen den Führungskräften und Vertretern des Innenministeriums finden nun nach Projektende regelmäßige Treffen statt, die es so vorher nicht gegeben hat.
Personalbedarf ermittelt
Noch ein dringendes Thema war der Personalbedarf in den Behörden: Der ohnehin leere Markt wurde 2015 und 2016 zusätzlich leergefischt, weil das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sein Personal massiv aufgestockt hatte. Noch heute herrscht in vielen Ausländerbehörden der Länder Personalmangel. Die hohe Arbeitsbelastung in vielen Ausländerbehörden sorgt zudem für ein Imageproblem der Behörden: „Lange Warteschlagen, zähe Verfahren und hohe Überstunden haben dem Ansehen der Behörden geschadet“, so Horstmann. Zudem seien die Ausländerbehörden in vielen Kommunen das Stiefkind der Verwaltung. Also half das Projekt den Behörden, den Personalbedarf festzustellen und fähiges Personal zu finden. „An vielen Standorten gab es Diskussionen mit Haupt- und Personalämtern, welche Anforderungen an das Personal realistisch sind“, erzählt Horstmann. „Ist etwa immer eine Verwaltungsausbildung erforderlich oder gibt es Stellen, bei deren Besetzung man pragmatisch sein könnte?“
Ein gutes Image ist viel Wert
Noch wichtiger war aber, das schlechte Image der Ausländerbehörden zu verbessern. „Das war ein Herzensthema für mich“, sagt Gisela Horstmann, die durch das Projekt viele Einblicke in den Behördenalltag erhalten hat. „Hätte ich diese Einblicke nicht gehabt, würde ich wohl auch sagen: »Mensch, reißt Euch doch zusammen, arbeitet schneller, flexibler und dienstleistungsorientierter!«. Aber hat man die Behörden einmal von innen kennengelernt und weiß, welch schwierigen Spagat die Beschäftigten tagtäglich meistern müssen, ändert sich die Perspektive schnell.“ Also nahm das Projekt die Homepage-Auftritte der Behörden unter die Lupe und half, Informationen und Formulare einfacher zu strukturieren, damit sich auch Menschen dort zurechtfinden, die die deutsche Sprache kaum beherrschen. „Eine weitere Chance sehe ich in der Einführung der E-Akte, die für die Ausländerbehörden extrem gewinnbringend wäre, weil sie den raschen Informationsaustausch fördert und dadurch die Abwicklung von Entscheidungsprozessen vereinfacht“, meint Gisela Horstmann.
Hier finden Sie weitere interessante Beispiele, wie die Menschen von EU-Fördermitteln aus ELER, EFRE und ESF in Sachsen-Anhalt nachhaltig profitieren.
Weitere Quellen:
Informationen über das Operationelle Programm für den Europäischen Sozialfonds des Landes Sachsen-Anhalt
Portal „Europa vor Ort in Sachsen-Anhalt“ der Europäischen Kommission
Projektwebsite von Ramboll Management Consulting GmbH
Zahlen von Asylanträgen in allen EU-Ländern vom Europäischen Parlament