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Zukunftstreffpunkt Spindestube

ESF lässt die alte Tradition in der Dübener Heide wieder aufleben

(Von Sylvia Bösch, 25.02.2021) 

Besonders an Winterabenden versammelten sich die Dorfbewohner früher in der Spindestube, um gemeinsam zu spinnen, die weichen Daunenfedern von den harten Federkielen zu reißen und andere handwerkliche Tätigkeiten auszuführen. Es ging vor allem darum, sich gesellig zu treffen, miteinander zu essen, zu feiern, sich auszutauschen und Neues zu planen. Auch in der Dübener Heide, im Osten von Sachsen-Anhalt, gab es früher solche Spindestuben. Das Projekt „Spindestube Dübener Heide“ greift diese alte Tradition in zeitgemäßer Form auf. „Wir wollten herausfinden, ob solche Gemeinschaftstreffs unter heutigen Bedingungen neu belebt werden und maßgeblich etwas zur Dorfentwicklung beitragen können“, erläutert Carsten Passin, der das zweijährige Projekt für die Evangelische Akademie Sachsen-Anhalt bis November 2020 leitete. In diesem Zeitraum entstanden in der Dübener Heide fünf Spindestuben: in den Bad Schmiedeberger Ortsteilen Meuro, Sachau und Söllichau sowie in dem Kemberger Ortsteil Gniest und in Krina. Der Plan: Einmal im Monat wird von der Spindestube ein offener Abend für die Bevölkerung angeboten, der mit einem Bildungsangebot verbunden ist, etwa einem Vortrag. Es wird in entspannter und kreativer Atmosphäre gemeinsam gegessen und getrunken. Die Arbeit des Spindestubenprojektes wurde mit rund 30.000 Euro über den CLLD-Ansatz aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) sowie vom Kirchenkreis Wittenberg finanziell unterstützt. CLLD steht hier als Abkürzung für „community-led local development“, also von der örtlichen Bevölkerung betriebene Maßnahmen zur lokalen Entwicklung. Bei Vorhaben, die über diesen Ansatz gefördert werden, entscheiden lokale Aktionsgruppen aus Sachsen-Anhalt, welche Projekte direkt vor der eigenen Haustür eine Unterstützung erhalten sollen. Die Fördermittel stammen dabei, wie in diesem Fall, aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) oder aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE).  

Dorfbewohner haben Unterstützung der EU positiv wahrgenommen

Um die alte Tradition der Spindestuben zu einem Zukunftstreffpunkt zu machen, nahm der Pädagoge und Philosophische Praktiker aus Gniest bereits ein halbes Jahr vor Projektbeginn Kontakt zu den Pfarrerinnen und Pfarrern der verschiedenen Ortsteile auf und stellte ihnen das Konzept vor. Gemeinsam luden sie die Dorfbewohner ein. Zusätzlich machte Passin etwa durch Aushänge und Flyer auf Informationsveranstaltungen aufmerksam. „Wir haben geschaut, was die Menschen interessieren könnte und, ob sie sich überhaupt vorstellen können, bei den Spindestuben mitzumachen“, berichtet er. „Wir haben relativ schnell gemeinsame Themen gefunden, sodass es bald losgehen konnte“, freut sich Carsten Passin. So entstanden in wenigen Monaten fünf Spindestuben, die von Anfang an von den Menschen in den Dörfern geführt wurden. „Meine Aufgabe als Projektleiter bestand vor allem darin, die Gründung der Spindestuben anzustoßen, sie die erste Zeit zu unterstützen und zu motivieren“, erklärt Passin. Er sorgte auch dafür, dass die verschiedenen Spindestuben voneinander erfuhren, ihre Erfahrungen austauschten und die Themenangebote der anderen ebenfalls nutzen konnten. „Ich habe bei den Menschen auf jeden Fall auch eine positive Verblüffung wahrgenommen, dass ‚Europa‘ sich um ihre ländliche Region kümmert“, betont Passin.

Ältere Menschen erinnern sich noch an Spindestuben

Carsten Passin traf in den beteiligten Dörfern auf aktive Menschen, die sich zusammenfanden, um Neues auszuprobieren und gemeinsam nach dem zu suchen, was ihr Dorf voranbringen kann. Als Projektleiter konnte er viele interessante Gespräche führen, auch mit einigen Menschen, die noch die alten Spindestuben kannten: „Sie haben unter anderem Geschichten von ihren Großeltern erzählt, die diese dort erlebt haben.“ Gerade zu Beginn war die Kommunikation in den Dörfern zu Themen und Terminen jedoch nicht einfach: „Die Teilnehmenden sind durchschnittlich älter als 50 Jahre. Die Kommunikation per E-Mail hat überhaupt nicht funktioniert. WhatsApp nutzten schon einige mehr. Das wurde dann auch schnell das wichtigste Kommunikationsmittel.“ 

Jede der Spindestuben richtete eine WhatsApp-Gruppe ein, die Interessierte mit regelmäßigen Informationen versorgte. „Als es im März 2020 mit der Corona-Pandemie losging, war WhatsApp ein Segen. So konnten wir im Gespräch bleiben. Wir haben immer wieder Wege gefunden, wie wir das hygienetechnisch lösen und uns trotzdem treffen können. Wir haben viel draußen gemacht“, berichtet Passin. Die beiden Spindestuben in Gniest und Krina hätten unter Corona leider sehr gelitten. „Die Leute haben sich nicht mehr getraut, sich zu treffen. Ich hoffe aber, dass sie noch einmal zusammenfinden, wenn es wieder möglich ist“, so Passin, der seit 2000 für die Evangelische Akademie tätig ist.

Bücherbaum und alte Grundschule als neue Treffpunkte

Als größten Erfolg des Projekts sieht Carsten Passin, dass Mitglieder der Spindestube in Meuro eine ehemalige Einklassenschule vor dem Verfall gerettet und zum Bildungs- und Begegnungszentrum umgebaut haben. In nur einem Jahr entstanden neue Räume für Kunst, Kultur, aber auch für Familienfeiern, die bisher in dem kleinen Ort völlig fehlten. Beim Umbau wurden sie durch europäische Mittel aus dem LEADER-Ansatz, und damit mit Mitteln aus dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER), sowie durch die Kirche finanziell unterstützt. Eine weitere besondere Initiative im Rahmen der Spindestuben ist der sogenannte Bücherbaum in Gniest. Er wurde von einer Künstlerin aus Wittenberg gespendet und vor etwa einem Jahr auf einem freien Platz im Dorf errichtet. Die drei aneinandergeschraubten Baumstämme sind an sechs Stellen ausgehöhlt und mit einer Klappe versehen. „Dort kann man Bücher hereinstellen und rausnehmen. Der Baum wird sehr gerne von den Menschen angenommen. Da werden wirklich fleißig Bücher getauscht“, erzählt Passin.

Spindestuben werden als Verein fortgeführt

Auch nach Projektende arbeiten die Spindestuben selbständig und ehrenamtlich weiter. Sie haben sich im Sommer 2020 zu dem Verein „Spindestuben Dübener Heide e.V.“ zusammengeschlossen. Neben örtlichen Aktivitäten wollen sie vor allem ihre neu entstandene Bildungs- Kultur- und Begegnungsstätte in Meuro mit Leben füllen. Zurzeit beobachtet Carsten Passin bei WhatsApp, dass die Planungen wieder losgehen. „Da werden wieder einige Ideen ausgetauscht. Daher bin ich sehr zuversichtlich.“

Hier finden Sie weitere interessante Beispiele, wie die Menschen von EU-Fördermitteln aus ELER, EFRE und ESF in Sachsen-Anhalt nachhaltig profitieren. 

Weitere Quellen:

Infos der Evangelischen Akademie zum Projekt „Spindestube Dübener Heide“:

https://www.ev-akademie-wittenberg.de/projekt/spindestube-dubener-heide    

Projektbericht zum Projekt „Spindestube Dübener Heide“: https://www.ev-akademie-wittenberg.de/sites/default/files/downloads/dokumentation_spindestube_final.pdf    

Website des Vereins Spindestube Dübener Heide e.V.: https://www.spindestube.de   

Presseportal „Europa vor Ort in Sachsen-Anhalt“ der Europäischen Kommission