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Al­lein­er­zie­hend, aber nicht al­lein

Der Aus­bil­dungs­ver­bund hilft jun­gen El­tern beim An­kom­men auf dem Ar­beits­markt

 

(Text: Bi­an­ca Kahl)

 

„Al­lein­er­zie­hend? Keine Ar­beit?“ – Im Ein­gangs­be­reich des Ver­eins „Aus­bil­dungs­ver­bund der Wirt­schafts­re­gi­on Braun­schweig/Mag­de­burg“ steht ein Glas­kas­ten mit den An­ge­bo­ten. MiKA – Mit Kind in Aus­bil­dung – ist eines davon. „Mit dem Auf­ruf im Glas­kas­ten wol­len wir die jun­gen Müt­ter und auch Väter auf uns auf­merk­sam ma­chen. Es kommt immer mal je­mand rein und fragt”, sagt die Ge­schäfts­füh­re­rin Chris­tia­ne Horn und räumt zu­gleich ein, dass es in ers­ter Linie Müt­ter sind, die bei ihr an­klop­fen. Für viele von ihnen wirkt der Aus­bil­dungs­ver­bund wie ein Ret­tungs­an­ker aus einem gan­zen Stru­del von Pro­ble­men.

Eine Art Schnitt­stel­le zwi­schen Aus­bil­dungs­su­chen­den und re­gio­na­len Be­trie­ben – das ist die Grund­idee des Ver­eins. Denn auf bei­den Sei­ten gibt es häu­fig Hil­fe­be­darf: Die vie­len klei­nen Be­trie­be, wie sie in der Re­gi­on vor­herr­schen, ver­fü­gen in der Regel über keine ei­ge­ne Per­so­nal­ab­tei­lung oder ein­fach nicht über aus­rei­chend Ka­pa­zi­tä­ten, um sich der auf­wän­di­gen Suche nach Aus­zu­bil­den­den zu wid­men. Um­ge­kehrt kön­nen sich Ju­gend­li­che und junge Er­wach­se­ne nicht nur über die be­ruf­li­chen Mög­lich­kei­ten in­for­mie­ren. Hin und wie­der brau­chen sie auch „einen An­stup­ser”, wie es Chris­tia­ne Horn char­mant for­mu­liert. Die eine traut sich nicht rich­tig, der an­de­re be­nö­tigt noch etwas fach­li­che Nach­hil­fe oder Un­ter­stüt­zung bei der Be­wer­bung.

Mit dem Pro­gramm „Mit Kind in Aus­bil­dung (MiKA)” hat der Aus­bil­dungs­ver­bund ge­mein­sam mit der Fa­mi­li­en­haus Mag­de­burg GmbH ein An­ge­bot spe­zi­ell für al­lein­er­zie­hen­de El­tern ge­schaf­fen, die noch keine ab­ge­schlos­se­ne Be­rufs­aus­bil­dung vor­wei­sen kön­nen. Sie haben es be­son­ders schwer, auf dem Ar­beits­markt Fuß zu fas­sen. Doch oft­mals ist der feh­len­de Ab­schluss eben nur die Spit­ze des Eis­bergs: In der Ver­gan­gen­heit hat Chris­tia­ne Horn in den Kur­sen immer wie­der fest­ge­stellt, dass ihre Schütz­lin­ge auch mit psy­chi­schen Pro­ble­men kämp­fen. Neben Ängs­ten, Ver­hal­tens­auf­fäl­lig­kei­ten und kon­kre­ten Er­kran­kun­gen haben viele von ihnen Schul­den oder neh­men sogar Dro­gen. „Dann bringt es na­tür­lich wenig, je­man­den ein­fach in ein Ar­beits­ver­hält­nis zu ver­mit­teln”, sagt sie. „Das Schei­tern wäre quasi vor­pro­gram­miert.” Das wie­der­um er­zeu­ge auf bei­den Sei­ten nur Frust und zer­stö­re den Mut für wei­te­re Ver­su­che.

Aus die­sem Grund wird bei MiKA eine Psy­cho­lo­gin eng mit ein­be­zo­gen, die die Teil­neh­me­rin­nen und Teil­neh­mer ge­mein­sam mit So­zi­al­päd­ago­gen be­treut. Die zwei­te Säule des Pro­gramms stellt die Be­rufs­ori­en­tie­rung dar: Auf ent­spre­chen­de Tests fol­gen Prak­ti­ka und vor­be­rei­ten­der Fach­un­ter­richt. Ziel ist, die jun­gen Müt­ter und Väter unter 27 Jah­ren er­folg­reich in eine Aus­bil­dung zu ver­mit­teln, den Weg für eine be­ruf­li­che Zu­kunft zu ebnen und gleich­zei­tig die Le­bens­ver­hält­nis­se zu sta­bi­li­sie­ren.

Die Teil­neh­me­rin­nen und Teil­neh­mer haben die ganze Woche einen fes­ten Stun­den­plan mit An­we­sen­heits­pflicht. Die Be­din­gun­gen ent­spre­chen dabei denen eines re­gu­lä­ren Ar­beits­ver­hält­nis­ses: „Wer seine Pflich­ten nicht er­füllt, wird zwei Mal ab­ge­mahnt und muss dann gehen”, stellt die Ge­schäfts­füh­re­rin klar.

Das alles klingt sehr streng. In der Rea­li­tät sind die Leh­re­rin­nen und Be­treu­er aber ver­trau­ens­vol­le An­sprech­part­ner für sämt­li­che Le­bens­la­gen. Sie hel­fen bei der Suche nach einer Kin­der­be­treu­ung, ar­bei­ten mit den El­tern an ihren so­zia­len Be­zie­hun­gen und ste­hen stets mit Rat und Tat zur Seite. Wenn Not am Mann ist, kön­nen die Kin­der auch mal di­rekt vor Ort be­treut wer­den. Öff­nungs­zei­ten sind dabei nach­ran­gig, die Han­dy­num­mern von Chris­tia­ne Horn und ihrem Team all­seits be­kannt. Es gab Si­tua­tio­nen, da haben die MiKAs spon­tan beim Umzug ge­hol­fen, den Voll­zie­hungs­be­am­ten be­schwich­tigt, gegen häus­li­che Ge­walt ge­kämpft oder Trost ge­spen­det, wenn eine Be­zie­hung in die Brü­che ging.

„Wir reden na­tür­lich nicht in die Part­ner­schaf­ten rein. Aber wir ver­su­chen schon mal Aha-​Effekte aus­zu­lö­sen”, er­zählt die Ge­schäfts­füh­re­rin. Denn auf dem Stun­den­plan steht auch, Netz­werk­kar­ten zu er­stel­len. Die Müt­ter und Väter füh­ren sich dann vor Augen, wel­che Kon­tak­te sie in ihrem Um­feld haben, auf wen Ver­lass ist, wer ihnen eher scha­det und mit wel­chem An­lie­gen sie sich an wen wen­den kön­nen. Meist muss man dann auch dar­über spre­chen, wie man seine „Netz­werk­kar­te” wei­ter fül­len kann.

Ei­gent­lich un­be­zahl­bar. Für die Al­lein­er­zie­hen­den ist das Pro­gramm sogar kos­ten­los. Aus dem Eu­ro­päi­schen So­zi­al­fonds (ESF) wird es mit 315.000 Euro ge­för­dert. Etwa 30 Müt­ter neh­men zur­zeit Teil. Sie wur­den vom Job­cen­ter ver­mit­telt, kamen über Ju­gend­treffs, Nach­bar­schafts­zen­tren und Bür­ger­ver­ei­nen zum Aus­bil­dungs­ver­bund – oder spa­zie­ren eben zur Tür her­ein, nach­dem sie den Auf­ruf im Glas­kas­ten am Ein­gang ge­le­sen haben. „Wer gern in Aus­bil­dung kom­men will, ist hier herz­lich will­kom­men”, sagt Chris­tia­ne Horn und ist zu­ver­sicht­lich, dass die meis­ten ihrer Schütz­lin­ge am Ende be­ruf­lich „unter der Haube” sein wer­den. „50 Pro­zent schaf­fen wir auf jeden Fall”, sagt sie selbst­be­wusst.

Die Chan­cen ste­hen gar nicht so schlecht: Rund 200 Un­ter­neh­men ar­bei­ten mit dem Aus­bil­dungs­ver­bund zu­sam­men. Viele von ihnen müs­sen gar nicht mehr über­zeugt wer­den, Al­lein­er­zie­hen­de ein­zu­stel­len – und sei es zu­nächst für ein Prak­ti­kum. „Al­lein­er­zie­hen­de kön­nen gut pla­nen und or­ga­ni­sie­ren, weil sie das im Leben ein­fach immer tun müs­sen”, be­ginnt die Ge­schäfts­füh­re­rin die Vor­tei­le auf­zu­zäh­len, die junge Müt­ter und Väter als Ar­beit­neh­mer aus­ma­chen, ent­ge­gen aller Vor­ur­tei­le. Dass sie auf mehr Fehl­zei­ten kom­men, sei sta­tis­tisch schon lange wi­der­legt. Selb­stän­di­ges Den­ken, ein gutes Zeit­ge­fühl, mehr Le­bens­er­fah­rung als Gleich­alt­ri­ge und eine hö­he­re Mo­ti­va­ti­on ge­hö­ren zur lan­gen Pro-​Liste. „Denn sie wis­sen, wofür sie ar­bei­ten: für ihre Kin­der. Sie wol­len, dass es der Fa­mi­lie bes­ser­geht.”

 

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