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Welche sozialen Innovationen braucht das Land?

Kompetenzzentrum arbeitet mit ESF-Mitteln

(Von Sylvia Bösch, 08.03.2021)

Im Dessauer Quartier „Am Leipziger Tor“ wachsen Blaue Kartoffeln, Roter Mangold und Bunte Möhren. Jugendliche können sich im Quartiershof in Zukunftsberufen wie Urbaner Farmer oder Energiewirt erproben. „Unsere Idee ist, freie Flächen in der Stadt produktiv zu machen, indem wir dort Gemüse sowie Pflanzen zum Gewinnen erneuerbarer Energie anbauen und Streuobstwiesen anlegen“, erläutert Heike Brückner, eine der Gründerinnen des Projektes Urbane Farm Dessau. Die Farm wurde vom „Kompetenzzentrum Soziale Innovation Sachsen-Anhalt (KomZ)“ zum sogenannten Leuchtturmprojekt ernannt. „Unter Leuchtturmprojekten verstehen wir Erfolgsgeschichten in Sachsen-Anhalt, die weit über ihren eigentlichen Entstehungsort hinaus Vorbildcharakter haben und mit ihren Ideen eine breite Zielgruppe ansprechen“, erläutert Prof. Dr. Everhard Holtmann vom Zentrum für Sozialforschung Halle an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. „Leuchtturmprojekte wirken auch über das eigentliche Ursprungskonzept in andere Bereiche der Kommunen hinein und haben es geschafft, sich über eine Anschubfinanzierung hinaus zu verstetigen“, so Holtmann. Er leitet seit 2017 das Verbundprojekt „Kompetenzzentrum Soziale Innovation Sachsen-Anhalt (KomZ)“, das den sozialen Wandel in Sachsen-Anhalt gestalten soll.

Verbundprojekt erhält vier Millionen Euro aus dem ESF

Das KomZ wird als Einzelvorhaben mit vier Millionen Euro aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) sowie mit einer Million Euro vom Land Sachsen-Anhalt über fünf Jahre gefördert. Zum Projekt-Konsortium zählen neben dem Zentrum für Sozialforschung in Halle das Fraunhofer-Institut für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen (IMWS) und das Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung (IFF). „In dem Zusammenwirken dieser verschiedenen Institutionen kommt bereits unser Gründungsgedanke zum Ausdruck, nämlich die naturwissenschaftlich-technische und die sozialwissenschaftliche Sichtweise zu verknüpfen“, betont der Projektleiter. Denn technologische Innovationen reichen alleine nicht, um die gegenwärtigen gesellschaftlichen Herausforderungen zu bewältigen. Technologische und soziale Innovationen müssen bei der Gestaltung unserer Zukunft Hand in Hand gehen. Das Kompetenzzentrum beschäftigt sich unter anderem mit den Leitfragen: Wie können wir die dringenden sozialen Fragen in unserem Land lösen? Welche Rolle bei der Gestaltung des sozialen Wandels übernehmen soziale Innovationen? Was macht eine Innovation zu einer sozialen Innovation? Welche sozialen Innovationen braucht unser Land?

Projektespeicher und Landkarte Sozialer Innovationen

Ausgehend von Beobachtungen aus einer Fremdperspektive heraus hat das KomZ mehr als 400 sozial innovative Projekte in Sachsen-Anhalt recherchiert, die es dort aktuell in den Bereichen Arbeit, Gesundheit, Alter und Sozialer Zusammenhalt gibt. „In einem zweiten Schritt sind wir über die kommunalen Einrichtungen an Projekte herangekommen und haben diese angeschrieben. Mit einem vorbereiteten Fragebogen haben wir die verantwortlichen Akteure gebeten, ihr Projekt selbst zu skizzieren“, erklärt Everhard Holtmann. Die Projekte werden dann mit einer kurzen Profilbeschreibung auf der Landkarte Sozialer Innovationen in Sachsen-Anhalt eingetragen. So ist erstmals eine vorläufige Gesamtübersicht über die Vielfalt innovativer Ideen und Initiativen in Sachsen-Anhalt entstanden. Auf seiner Website will das Verbundprojekt Interessierte dazu anregen, selbst tätig zu werden oder sich einem bestehenden Projekt anzuschließen. „Das hat bereits dazu geführt, dass Projekte untereinander Kontakt aufgenommen haben und neue Ideen entstanden sind“, so Holtmann.

Spring School Ferropolis und Europäische Online Konferenz

Auch mit dem anstehenden regionalen Strukturwandel in den Braunkohleregionen in Sachsen-Anhalt hat sich das Verbundprojekt beschäftigt, etwa im Rahmen seiner „Spring School Ferropolis“ im Mai 2019. „Wir haben ehemalige Bergarbeiterinnen und Bergarbeiter eingeladen, ihre Lebens- und Arbeitsgeschichten zusammen mit Studierenden unterschiedlicher Fakultäten gemeinsam aufzubereiten und zum Teil in entsprechende audiovisuelle Formate zu übersetzen. Daraus ist eine App entstanden, die heute bei Führungen vor Ort eingesetzt wird", erläutert Holtmann. „Das hat sehr gut funktioniert“, freut er sich. Die Erfahrungen, die vor Ort mit dem Strukturwandel gemacht wurden, können hilfreich für andere Regionen sein, denen der Kohleausstieg noch bevorsteht.

Am 28. Oktober 2020 organisierte er mit seinem Team die europäische Online-Konferenz „Strukturwandel – sozial innovativ gestalten!“. „Da ging es um Fragen, inwieweit diese neuen sozialen Herausforderungen und der Europäische Green Deal zusammenpassen. Wie kann man diese beiden Politikfelder für einen sozialverträglichen Strukturwandel jetzt hier in Sachsen-Anhalt zusammenführen und möglicherweise auch damit exemplarisch etwas für die anderen europäischen Kohleregionen bereitstellen?“, erklärt Holtmann. Er ist zuversichtlich, dass das ESF-geförderte Verbundprojekt KomZ mit seinem Projektespeicher, der Wissensplattform, der Landkarte Sozialer Innovationen und Aktionen zum Thema Strukturwandel in Sachsen-Anhalt das Bewusstsein dafür stärkt, dass soziale Innovationen den gesellschaftlichen Wandel in einem hohen Maße produktiv flankieren können. Die Gründer der „Urbanen Farm Dessau“ haben noch eine weitere große Vision: Aus einem ehemaligen Plattenbau wollen sie Raum für gemeinschaftliches Wohnen mit Selbsterntegärten schaffen und somit einen sozialen Anker für das Quartier entwickeln. Gründerin Heike Brückner ist sich sicher: „Das was wir hier ausprobieren, ist auf andere Orte des demografischen Wandels übertragbar.“

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Weitere Quellen: