Menu
menu

Vorankommen mit viel Geduld und starkem Willen

Fach- und Servicestelle unterstützt migrantische Frauen bei ihrer beruflichen Entwicklung 

(Von Walter Liedtke, 18.08.2021) 

Das Studium des Finanzwesens, das sie in ihrer Heimat Syrien absolviert hat, konnte Djamila M. nach ihrer Emigration nach Deutschland zunächst nicht unverändert auf einen neuen Arbeitsplatz anwenden. Durch die Unterstützung der Fach- und Servicestelle für die Arbeitsmarktintegration migrantischer Frauen in Sachsen-Anhalt hat sie nicht nur die deutsche Sprache erlernt, sondern auch eine Geschäftsidee und einen Businessplan entwickelt. Gemeinsam mit ihrem Mann gründete sie einen Supermarkt für Obst- und Gemüse. Dort verkaufen sie nun seit drei Jahren orientalische Lebensmittel.

Drei starke Partner unterstützen:

Bei der Arbeitssuche in Deutschland stehen migrantische Frauen vor zahlreichen Herausforderungen. „Wir versuchen, sehr individuell auf die ratsuchenden Frauen zuzugehen“, erklärt Jennifer Heinrich, die beim Caritasverband für das Bistum Magdeburg für die Gesamtleitung des Projekts verantwortlich ist. „Dabei werden wir unter anderem von Fachleuten aus den Bereichen Sozialarbeit, psychologische Betreuung und Übersetzung unterstützt.“ Das Konzept der Anlauf- und Servicestelle wird in einem Projektverbund umgesetzt: Die Caritas koordiniert das Gesamtprojekt, verantwortet die zentrale Anlauf- und Servicestelle und damit den Beratungskontext, das Veranstaltungsmanagement sowie die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Das Europäische Bildungswerk für Beruf und Gesellschaft (EBG) führt Qualifizierungsmaßnahmen für die Migrantinnen durch und die Minor - Projektkontor für Bildung und Forschung gGmbH ist unter anderem für die wissenschaftliche Supervision und Begleitung des Projekts sowie für die inhaltliche Gestaltung von Fachveranstaltungen und die Veröffentlichung von Fachpublikationen zuständig. Von 2020 bis Juni 2022 wird die Fach- und Servicestelle mit Mitteln aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) in Höhe von 914.000 Euro gefördert. Das Land Sachsen-Anhalt steuert weitere 210.000 Euro bei. Die Basis für die Unterstützung bildet eine Einzelprojektförderung des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung des Landes Sachsen-Anhalt. Bei dem Vorhaben handelt es sich darüber hinaus um ein Projekt der Wirtschafts- und Sozialpartner des Landes Sachsen-Anhalt zur Stärkung des sachsen-anhaltischen Arbeitsmarktes. Kooperierende Wirtschafts- und Sozialpartner sind unter anderem der Landesfrauenrat (LFR) und der Allgemeine Arbeitgeberverband der Wirtschaft (AVW). 

Nur mit Sprachkenntnissen geht es voran

Gute deutsche Sprachkenntnisse sind die wichtigste Voraussetzung, um erfolgreich auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. „Der Spracherwerb ist wirklich immer ein ganz großes Thema. Wegen Corona konnten viele Sprachkurse des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge und Prüfungen nicht stattfinden“, erklärt Jennifer Heinrich. Zum Glück bietet das EBG passende Überbrückungsmaßnahmen an. Viele Sprachkurse des Projektträgers fanden während Corona auch online statt. Jennifer Heinrich: „Wir unterstützen die Frauen bei der Suche, aber auch bei der Anmeldung für die Sprachkurse und wir ermuntern sie auch. Denn wenn sie eine Sprachprüfung oder auch nur eine Teilprüfung nicht bestanden haben, verlieren sie oft ihre Zuversicht.“ Neben der moralischen Unterstützung gibt es auch handfeste Hilfe: Die Beraterinnen recherchieren etwa Möglichkeiten des kostenfreien oder kostengünstigen Spracherwerbs, wenn Regelstrukturen nicht mehr genutzt werden können. Sprache ist das A und O, betont Jennifer Heinrich: „Wir erleben es immer wieder, dass viele Unternehmerinnen und Unternehmer, bevor sie sich überhaupt den Lebenslauf der Frauen anschauen, zuerst die Frage stellen: Wie ist die Sprachkompetenz und welches Sprachniveau haben die Frauen?“

Bildungsabschlüsse sind oft nicht vergleichbar

Wie Djamila M. ergeht es vielen migrantischen Frauen: Ihre im Ausland erworbenen Bildungsabschlüsse werden hier nicht anerkannt, denn ihr Studium oder ihre Ausbildung hatten ganz andere Inhalte als sie in Deutschland gefordert sind. Die Anerkennungsverfahren erlebt Jennifer Heinrich zum Teil als sehr komplex und langwierig. Diese Hängepartie verbraucht bei den Frauen sehr viel Motivation: „Stellen Sie sich vor, Sie gehen in ein anderes Land, möchten dort loslegen und dürfen zum Teil monatelang nicht in ihrem originär erlernten oder studierten Beruf arbeiten, weil ihr Zeugnis nicht anerkannt wird.“ Oft sind Nachprüfungen oder Nachqualifizierungen erforderlich, um die Anerkennung von Abschlüssen zu erreichen und bis es so weit ist, müssen die Frauen anderweitig ihren Lebensunterhalt bestreiten.

Ein Netzwerk aus Fachleuten kann aktiviert werden

Dazu kommen Vermittlungshemmnisse, die sich aus persönlichen oder biografischen Hintergründen der Frauen ergeben, zum Beispiel, wenn Frauen vor oder während ihrer Flucht nach Europa traumatisierende Situationen durchstehen mussten. „Das sind natürlich Themen, die immer vorrangig bearbeitet und gelöst werden müssen, bevor sie daran denken können, mit den Frauen eine Perspektive zu entwickeln, wo es beruflich hingehen soll.“ Dafür kann die Beratung der Caritas auf ein Netzwerk externer Fachleute zurückgreifen, zum Beispiel vom Psychosozialen Zentrum in Magdeburg. „Bei rechtlichen Fragen holen wir die Kolleginnen und Kollegen der Migrationsberatung mit ins Team“, berichtet Jennifer Heinrich. Ein weiterer Punkt: Bei alleinerziehenden Frauen muss der Job mit dem Familienleben kompatibel sein. Das ist bei Migrantinnen nicht anders als bei allen anderen Alleinerziehenden. Da helfen die Beraterinnen zusammen mit dem Landkreis oder der zuständigen Stadt dabei, einen Kita-Platz für die Kinder zu finden, damit die Mütter einen Sprachkurs oder eine andere Qualifizierungsmaßnahme besuchen können.

Digitale Kompetenzen fehlen

Die digitale Kompetenz ist nicht bei allen Frauen gleichermaßen vorhanden. Der Gebrauch eines Smartphones ist häufig durch die Alltagsnutzung geläufig, die Bedienung eines Laptops oder eines Tablets hingegen sowie die Anfertigung einer E-Mail benötigt zeitweise Unterstützung. Dieses Manko wird bei den Qualifizierungsmaßnahmen berücksichtigt: „Dafür gibt es gute didaktische Möglichkeiten, weil wir bemerkt haben, dass nicht alle Frauen automatisch diese Kompetenz mitbringen. So setzen wir zum Beispiel viele Multiple-Choice-Tests ein“, erzählt Jennifer Heinrich.

Migrantinnen kommen aus der ganzen Welt

Rund 45.000 Frauen ohne deutsche Staatsbürgerschaft leben in Sachsen-Anhalt. Die meisten, etwa ein Fünftel, kommen aus Syrien. Danach kommen polnische, rumänische, russische, vietnamesische, afghanische, ukrainische und chinesische Staatsbürgerinnen. Im Schnitt leben sie seit etwa sieben Jahren in Deutschland und haben im Vergleich zu Frauen ohne Migrationshintergrund seltener einen Berufsabschluss. „Der Schwerpunkt unserer Arbeit liegt in den großen Städten, also in Magdeburg, Halle und Dessau-Roßlau. Aber wir sind auch in einem ländlich geprägten Kreis wie dem Landkreis Börde präsent. Dort sind wir ebenfalls mit mobiler Beratung unterwegs“, erläutert Jennifer Heinrich.

Umfangreiches Online-Angebot

Um die Frauen zu erreichen, macht die Fach- und Servicestelle eine sehr intensive Presse und Öffentlichkeitsarbeit. Eine umfangreiche und informative Webseite bildet dabei die Basis. Alle Informationsmaterialien haben sie in fünfzehn Sprachen übersetzen lassen und sie streuen diese Materialien ganz breit, zum Beispiel bei Beratungsdiensten oder in Kindertagesstätten, „also überall dort, wo die Frauen auch auf natürliche Art und Weise ohnehin hinkommen und Gelegenheit hätten, auf uns aufmerksam zu werden,“ sagt Jennifer Heinrich. Sie und ihre Kolleginnen pflegen die Kontakte zu allen anderen Beratungsstellen im Land und sie führen die Beratungsgespräche zum Teil auch direkt in den Jobcentern durch. Um die Bekanntheit ihres Angebots künftig noch weiter zu steigern, würde sie gern mehr in den Social-Media-Kanälen tätig sein: „Da sehe ich nochmal eine ganz große Chance für jetzt und für die Zukunft – auch, um die Frauen schneller und zielgerichteter zu erreichen. Denn es ist statistisch erwiesen, dass die migrantischen Frauen stärker in den sozialen Medien aktiv sind als die migrantischen Männer.“

Hier finden Sie weitere interessante Beispiele, wie die Menschen von EU-Fördermitteln aus ELER, EFRE und ESF in Sachsen-Anhalt nachhaltig profitieren. 

Weitere Quellen:

Internetauftritt der Fach- und Servicestelle für die Arbeitsmarktintegration migrantischer Frauen: www.blickpunkt-migrantinnen.de