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Das Netzwerk der experimentellen Forschung

- von Kai Bieler -

„Spielend Geld verdienen“ lautet der Slogan, mit dem das Magdeburger MaXLab um neue Teilnehmer wirbt. Dabei handelt es sich keineswegs um ein Casino, sondern um das Experimentallabor der Otto-von-Guericke-Universität. In einem der größten Labore für Wirtschaftsforschung in Deutschland können die Probanden durch die Teilnahme an Experimenten nicht nur ihr Taschengeld aufbessern, sondern auch einen wichtigen Beitrag zu neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen leisten. Um die gewonnenen Daten in der Zukunft besser nutzen und vergleichen zu können, entsteht derzeit eine neue Forschungsplattform für Wissenschaftler aus aller Welt.

Wie verhalten sich Menschen als Akteure im Wirtschaftsprozess? Jahrhundertlang bildete der „Homo oeconomicus“ das theoretische Modell für die Erklärung elementarer Zusammenhänge in der Wirtschaftswissenschaft. Dieser fiktive „Wirtschaftsmensch“ handelt immer rational und auf Grundlage feststehender Werte, verfolgt ausschließlich die eigenen Interessen und verfügt über alle notwendigen Informationen für seine Entscheidungen. Das Problem: In der Praxis hat sich dieses Modell menschlichen Verhaltens als nur bedingt haltbar herausgestellt. Deshalb geht die experimentelle Forschung einen anderen Weg, um einen belastbareren Bezug zwischen der Theorie und der wirtschaftspolitischen Realität herzustellen. In Experimenten müssen Versuchsteilnehmer unter kontrollierten Bedingungen einfache Entscheidungsprobleme lösen. Aus den Ergebnissen versuchen die Wissenschaftler zu lernen, wie Menschen Entscheidungen treffen und wie man dieses Verhalten mit formalen Theorien beschreiben kann. Eine große Zahl der aktuell veröffentlichten wirtschaftswissenschaftlichen Schriften baut bereits auf Experimenten und Befragungen auf, wie sie auch im MaXLab der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg regelmäßig stattfinden. Bis zu 30 Probanden gleichzeitig können hier vor Ort unter kontrollierten Bedingungen an Computerarbeitsplätzen an einem Experiment teilnehmen und so dazu beitragen, neue Theorien zu begründen oder alte zu widerlegen.

Wie in anderen Wissenschaftsdisziplinen werden die Ergebnisse aus der experimentellen Wirtschaftsforschung in Fachpublikationen veröffentlicht. Doch hierdurch werden den Wissenschaftlern die Vielzahl der im Labor erfassten statistischen Daten nicht in der bestmöglichen Form zugänglich gemacht. Prof. Dr. Joachim Weimann, Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftspolitik an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, erläutert die Problematik, die sich daraus ergibt: „Es besteht derzeit keine Möglichkeit, die Ergebnisse der experimentellen Forschung im Detail zu überprüfen.“ Je nach Versuchsaufbau können die unterschiedlichsten Daten aufgezeichnet werden: Vom soziodemographischen Hintergrund der Probanden, über Reaktionszeiten, Pupillenbewegungen und Puls bis zur Raumtemperatur. Erst durch die Prüfung und Interpretation dieser Experimentaldaten lässt sich die Aussagekraft der gewonnenen Ergebnisse überprüfen. „Für die so weltweit gewonnene Flut an Daten existiert außerdem bislang keine Plattform, die es ermöglicht, sie zusammenzuführen und allen Forschern zugänglich zu machen“, betont Prof. Dr. Joachim Weimann. Genau dieses Ziel verfolgt der Volkswirtschaftsprofessor mit dem 2007 gestarteten Projekt „Integrierte Forschungsdatenbank“. Das vom Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) mit einer Gesamtsumme von 318.600 Euro geförderte Vorhaben soll die Zusammenarbeit im experimentellen Forschungsbetrieb auf eine neue und transparente Basis stellen.

Die Umsetzung der gesamten Server-, Daten- und Sicherheitsstruktur liegt bei Harald Wypior und seinem Team. „Das alles haben wir selbst aufgebaut“, berichtet er. Derzeit wird das System in seiner Testphase von ausgesuchten kleinen Forschergruppen verwendet, die regelmäßig detaillierte Feedbacks zur Verfeinerung der Programme liefern. Die Planung sieht vor, Anfang des kommenden Jahres mit dem öffentlichen Betrieb zu werben. „Dann wollen wir auch verstärkt Werbung machen und Überzeugungsarbeit leisten.“ Jede hier veröffentlichte Studie bekommt dann einen permanenten Link, der auch nach Abschluss der Projekte bestehen bleibt. „Derzeit sind wir in Gesprächen mit den wichtigsten Fachjournalen aus dem Bereich Wirtschaftsforschung, um zu erreichen, dass der Abdruck dieses Links zu den Experimentaldaten eine Voraussetzung für jede Veröffentlichung wird“, erläutert Harald Wypior. Durch diese Transparenz würde eine neue Qualitätsstufe in der experimentellen Forschung erreicht. Ein langfristiges Ziel des Projektteams ist es, dass Veröffentlichungen auf der „Integrierten Forschungsplattform“ einen ähnlichen Stellenwert erreichen, wie Publikationen in Fachzeitschriften. Auch wenn dies noch Zukunftsmusik ist: Bereits jetzt findet das Projekt in der Wissenschaftswelt große Beachtung. Zahlreiche Wissenschaftler und Institutionen wie die Gesellschaft für experimentelle Wirtschaftsforschung oder das Amt für Statistik Magdeburg haben bereits ihr Interesse an einer Zusammenarbeit bekundet. Für Harald Wypior zeigt dies die enormen Potenziale des Vorhabens, auch über die Wirtschaftswissenschaften hinaus: „Wenn es uns gelingt, die Forschungsplattform dauerhaft als festen Bestandteil der Otto-von-Guericke-Universität zu etablieren, wäre dies eine tolle Reputation. Ein Ort, der weltweit experimentelle Forscher in gemeinsamen Projekten vereint, ist wirklich eine kleine Revolution in der Wissenschaft“.

Der Europäische Fonds für regionale Entwicklung - der EFRE - investiert gezielt in die Zukunft der Union als Ganzes. 1,93 Milliarden Euro stehen 2007-2013 für Sachsen-Anhalt bereit.

Die Förderpolitik setzt auf die stärksten Motoren des Wirtschaftswachstums: kleine und mittlere Unternehmen. Innovation, Forschung und Infrastrukturen sind zusätzlich im Fokus der Förderung. Arbeitsplätze schaffen, Wachstum fördern: Das sind die Hauptziele der Förderpolitik.