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For­schung mit ra­dio­ak­ti­ven Ato­men unter im­mensem Zeit­druck

Das Zy­klo­tron hilft bei der Suche nach den Ur­sa­chen von De­menz und Krebs

(Von Wal­ter Liedt­ke, 25.11.2021) 

Fast zehn Jahre hat es nach dem Grund­satz­be­schluss zur An­sied­lung des ers­ten Kreis­be­schleu­ni­gers (Zy­klo­tron) im Land Sachsen-​Anhalt im De­zem­ber 2011 ge­dau­ert, bis das Gerät auf dem Medizin-​Campus der Uni­ver­si­tät Mag­de­burg (OVGU) end­lich ein­traf und in einem ei­gens dafür er­rich­te­ten Ge­bäu­de in­stal­liert wurde. Das Zy­klo­tron kommt nach Mag­de­burg, weil die Uni­ver­si­tät einen For­schungs­schwer­punkt in bild­ge­ben­den Ver­fah­ren hat und hier u.a. ge­mein­sam mit dem Deut­schen Zen­trum für Neu­ro­de­ge­ne­ra­ti­ve Er­kran­kun­gen (DZNE) zu De­menz­er­kran­kun­gen forscht. Es ist eine Schei­be von nur etwa einem Meter Durch­mes­ser, ent­ste­hen­de Strah­lung wird nach außen hin unter an­de­rem durch Polyethylen-​Platten, Blei­ein­la­gen und von di­cken Spe­zi­al­be­ton­wän­den ab­ge­schirmt. Für die For­schung ist es je­doch enorm wert­voll. Fi­nan­ziert wurde der An­kauf des Zy­klo­trons sowie die Er­rich­tung sei­nes Ge­bäu­des unter an­de­rem mit 7,7 Mil­lio­nen Euro aus dem Eu­ro­päi­schen Fonds für re­gio­na­le Ent­wick­lung (EFRE). Das EFRE-​Programm „För­de­rung des Aus­baus der an­wen­dungs­ori­en­tier­ten Forschungs-​ und Entwicklungs-​Infrastruktur“ passt per­fekt zu die­sem wirk­lich sehr spe­zi­el­len For­schungs­ge­rät. Der För­der­be­scheid wurde im Juni 2018 über­ge­ben. Damit diese teure An­schaf­fung auch sinn­voll ge­nutzt wer­den kann, hat die Uni­ver­si­tät eine zu­sätz­li­che Pro­fes­sur für Ra­dio­che­mie ein­ge­rich­tet. Ab Früh­jahr 2022 soll sich ein neu be­ru­fe­ner Spe­zia­list mit darum küm­mern, wie man mit der Hilfe des Zy­klo­trons zu neuen Er­kennt­nis­sen in der Demenz-​ oder auch der Krebs­for­schung ge­lan­gen kann.

Die Halb­wert­zeit be­stimmt das Ar­beits­tem­po

In einem Zy­klo­tron wer­den ra­dio­ak­ti­ve Atom­ker­ne her­ge­stellt, die – ein­ge­baut in Bio-​Moleküle – als Mar­ker fun­gie­ren, zum Bei­spiel im Ge­hirn von Ver­suchs­per­so­nen. Das ist ein nu­kle­ar­me­di­zi­ni­scher Pro­zess. Dabei be­schleu­nigt man im Zy­klo­tron ge­la­de­ne Teil­chen wie Pro­to­nen oder Deu­te­ro­nen auf einer Spi­ral­bahn in einer fla­chen Hoch­va­ku­um­kam­mer unter Ein­fluss eines star­ken Ma­gnet­fel­des. Sauerstoff-​18-​angereichertes Was­ser und Stickstoff-​15-Gas wer­den be­schos­sen und da­durch wer­den die ra­dio­ak­ti­ven Atom­ker­ne Fluor-​18 und Sauerstoff-​15 her­ge­stellt. Diese Kerne – so­ge­nann­te Positronen-​Emitter – wer­den dann in Tracer-​Substanzen (Bio-​Moleküle) ein­ge­baut. „Das sind Mo­le­kü­le, mit deren Hilfe ich etwas im Kör­per nach­wei­sen will und die dazu an be­stimm­ten Stel­len im Ge­hirn an­ge­la­gert wer­den. Das un­ter­su­chen wir dann mit Hilfe der Positronen-​Emissions-Tomographie“, er­läu­tert Prof. Dr. Hel­mut Weiß. Sein Fach­ge­biet ist die Phy­si­ka­li­sche Che­mie. Als Pro­rek­tor der Otto-​von-Guericke-Universität ist er zu­stän­dig für Pla­nung und Haus­halt. Seit 2016 hat er die Ein­rich­tung des Zy­klo­trons be­glei­tet und auch das Be­ru­fungs­ver­fah­ren für die Pro­fes­sur für Ra­dio­che­mie ge­lei­tet. Zum Zweck der For­schung mit dem Zy­klo­tron er­klärt er: „Ein Ziel ist es, sen­si­ti­ve und spe­zi­fi­sche Imaging-​ oder ko­gni­ti­ve Mar­ker für die Früh­erken­nung der Alzheimer-​Demenz zu ent­wi­ckeln.“ Die be­son­de­re Her­aus­for­de­rung bei der Ar­beit mit dem Gerät be­steht darin, dass die ra­dio­ak­ti­ven Atom­ker­ne sehr schnell wie­der zer­fal­len. Die Halb­wert­zeit liegt im Be­reich zwi­schen zwei Mi­nu­ten und zwei Stun­den. Des­we­gen müs­sen die im Zy­klo­tron er­zeug­ten Atom­ker­ne um­ge­hend ge­nutzt wer­den. Dazu hat man sich in Mag­de­burg ein aus­ge­klü­gel­tes Sys­tem über­legt.

Trans­port mit un­ter­ir­di­scher Rohr­post 

„Das Zy­klo­tron ist wie eine ver­ti­ka­le Schei­be auf­ge­stellt“, so Hel­mut Weiß. Vom Zy­klo­tron aus gehen die er­zeug­ten Atom­ker­ne über sehr dünne Lei­tun­gen, die im Boden lie­gen und ab­ge­schirmt sind, di­rekt in Nach­bar­räu­me, die eben­falls in Sa­chen Strah­len­schutz ge­si­chert sind: „Dort wer­den die ra­dio­ak­ti­ven Kerne in die Tracer-​Moleküle ein­ge­baut.“ Im nächs­ten Schritt ver­las­sen diese ra­dio­ak­ti­ven Mo­le­kü­le das Zyklotron-​Gebäude und be­ge­ben sich per Rohr­post ins Nach­bar­ge­bäu­de, wo man im Deut­schen Zen­trum für Neu­ro­de­ge­ne­ra­ti­ve Er­kran­kun­gen (DZNE) auf die Sub­stan­zen war­tet. „Die Pro­ben be­fin­den sich in einer Um­hül­lung aus Wolf­ram, die enorm schwer ist und die Strah­lung ab­schirmt“, er­klärt Hel­mut Weiß. Wenn die Halb­wert­zeit einer Probe etwas län­ger ist, kann sie auch ganz un­spek­ta­ku­lär auf einer Sack­kar­re ins Nach­bar­ge­bäu­de ge­bracht wer­den. Dort wer­den die Pro­ben dann an Pro­ban­den ver­ab­reicht. Die ra­dio­ak­ti­ve Sub­stanz wird ihnen dazu meist in einer Was­ser­lö­sung ge­spritzt. „Diese Pro­ban­den wer­den Men­schen mit Demenz-​Erscheinungen sein, die sich der For­schung zur Ver­fü­gung stel­len“, ver­deut­licht Hel­mut Weiß. „Wir wol­len neue so­ge­nann­te PET-​Tracer fin­den, damit wir dar­aus neue Heil­ver­fah­ren ab­lei­ten kön­nen. Unser Wis­sen auf die­sem Ge­biet ist ein­fach noch viel zu klein.“ Darum wird sich aber nicht der Pro­rek­tor küm­mern, son­dern der neu be­ru­fe­ne Pro­fes­sor für Ra­dio­che­mie mit sei­nen Kol­le­gen aus dem DZNE und der Me­di­zin. Er wird neue Me­tho­den ent­wi­ckeln, wie man mit­hil­fe der schnell wie­der zer­fal­len­den Atom­ker­ne zu aus­sa­ge­kräf­ti­gen Er­geb­nis­sen ge­lan­gen kann. Damit soll es bald los­ge­hen: „Wir ste­hen noch in Ver­hand­lun­gen mit dem bes­ten Kan­di­da­ten und wir hof­fen, dass er im ers­ten Quar­tal 2022 hier sei­nen Dienst an­tre­ten wird“. Dann soll das Zy­klo­tron auch fei­er­lich er­öff­net wer­den.

Zy­klo­tron ist noch im Pro­be­be­trieb

Das Zyklotron-​Gebäude be­fin­det sich der­zeit im Pro­be­be­trieb. Hel­mut Weiß: „Es wer­den Test­mes­sun­gen für den Strah­len­schutz ge­macht und es wird die Zu­ver­läs­sig­keit der Über­wa­chungs­an­la­gen ge­prüft.“ Aber die An­la­ge muss auch eine Zu­las­sung gemäß dem Arz­nei­mit­tel­ge­setz er­hal­ten, denn das Er­zeu­gen der Tracer-​Substanzen fällt unter die Arz­nei­mit­tel­her­stel­lung. „Es muss ge­zeigt wer­den, dass das hier vor Ort mög­lich ist und be­herrscht wird. Dabei ist auch immer ein Nuklear-​Mediziner mit ein­ge­bun­den.“ Bis alles im Nor­mal­be­trieb lau­fen kann, wird es des­halb wohl noch bis 2023 dau­ern. Ver­ant­wort­lich dafür ist die arz­nei­mit­tel­recht­li­che Ge­neh­mi­gung, die noch er­teilt wer­den muss.

Es ent­steht kein Atom­müll

Die Uni­ver­si­tät Mag­de­burg muss keine ra­dio­ak­ti­ven Ma­te­ria­li­en kau­fen, um das Zy­klo­tron zu be­trei­ben, son­dern sie stellt sie selbst im Zy­klo­tron her. „Ein Vor­teil der PET-​Technologie ist auch, dass die Ra­dio­ak­ti­vi­tät nach zwölf Halb­wert­zei­ten nur noch bei deut­lich we­ni­ger als einem Tau­sends­tel der ur­sprüng­li­chen Strah­lung liegt. Nach zwei Tagen kön­nen Sie die Reste ganz nor­mal ent­sor­gen, weil es keine Ra­dio­ak­ti­vi­tät mehr gibt,“ er­läu­tert Weiß. Für den Ab­fall aus dem Zy­klo­tron be­nö­tigt man also kein Atom­müll­la­ger. Es wird noch etwas dau­ern, bis die ver­schie­de­nen Nut­zer – das DZNE sowie die Demenz-​ und die Krebs­for­schung an der Uni­ver­si­tät – sich auf­ein­an­der ein­ge­spielt haben. Doch in einer Sache ist sich der Che­mi­ker si­cher: „Das Zy­klo­tron wird hier nicht her­um­ste­hen und Staub an­set­zen. Es wird durch­ge­hend von der For­schung ge­nutzt wer­den.“

Hier fin­den Sie wei­te­re in­ter­es­san­te Bei­spie­le, wie die Men­schen von EU-​Fördermitteln aus ELER, EFRE und ESF in Sachsen-​Anhalt nach­hal­tig pro­fi­tie­ren. 

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