Elvis, der alte Hase und ein Held auf Zeit
Philipp Kasch bestreitet ein FSJ Kultur bei „Local Heroes“ in Salzwedel
(Text: Bianca Kahl)
Philipp Kasch lehnt sich am Computer zurück, greift nach seiner Gitarre, die neben ihm an der Wand lehnt, und spielt ein paar Akkorde. Es entspannt ihn, bei der Arbeit zwischendurch ein bisschen an den Saiten zu zupfen. Das ist besser als jede Raucherpause. Philipp Kasch ist hier im Büro nur ein „Gastspieler“. Er leistet für ein Jahr einen Freiwilligendienst. Doch das hört sich viel trockener an, als es ist.
„Die ,Localmotive‘ hier ist die Musik“, scherzt Dieter Herker, der ihm gegenüber am Schreibtisch sitzt. Gemeint hat er damit die Zugkraft, die Musik für eine ganze Region entfalten kann. Für Salzwedel gilt dies ganz besonders. Dank Dieter Herker und seinen Mitstreitern könnte die Stadt noch zur Lokomotive oder eben zur „Localmotive“ für die Jugendarbeit in ganz Europa werden.
Dieter Herker wäre dann der alte Hase. Der Soziologe aus dem Wendland ist von Anfang an, also seit dem Fall der Mauer, mit dabei, hat das Konzept für die sogenannte Jugendkulturetage in der Innenstadt von Salzwedel mitentwickelt und sie zur Anlaufstelle für die Jugend der Region gemacht. Er gründete den Verein „Aktion Musik / local heroes“ mit und brachte damit ganz neue Impulse in die Jugendarbeit. Das Motto lautet „Ihr spielt die Musik!“. Gemeinsam mit Michael Schulze, den alle nur „Elvis“ nennen, verleiht er Instrumente, stellt kostenlos Proberäume zur Verfügung, betreibt ein Tonstudio, gibt Workshops und veranstaltet ein Mal im Monat eine offene Bühne im Club „Hanseat“, der sich im Erdgeschoss des Hauses befindet.
Doch überregionale Strahlkraft entwickeln „Elvis“ und der „alte Hase“ erst mit dem größten Projekt des Vereins: „Local Heroes“, die „Helden vor Ort“. Schon seit einem knappen Vierteljahrhundert bringt das Projekt Nachwuchsbands auf die Bühne – und über einen Wettbewerb am Ende deutschlandweit in die Medien. Denn nach Regional- und Länderausscheiden gibt es ein großes Bundesfinale. Bands wie „Madsen“ oder „Tokio Hotel“ sammelten so erste Bühnenerfahrungen. Mittlerweile breitet sich die Idee sogar schon in anderen europäischen Ländern aus.
Seit knapp zehn Jahren bekommen „Elvis“ und der „alte Hase“ bei ihrer Arbeit regelmäßig Rückendeckung von jeweils zwei jungen, neugierigen und engagierten Menschen. Philipp Kasch ist einer von diesen „Helden auf Zeit“. Seit September bestreitet der 22-Jährige ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) der besonderen Art – nämlich im Bereich Kultur und Bildung.
Diesen Freiwilligendienst, der in der Regel von September bis zum August des Folgejahres andauert, leisten in Sachsen-Anhalt aktuell 82 junge Leute. Vertreten sind die Bereiche Theater, Museum, Musik, Film und Fotografie, Schule und andere. Philipp Kasch ist hauptsächlich verantwortlich für die Öffentlichkeitsarbeit von „Local Heroes“. Er versorgt die Presse mit den neuesten Infos und ist mit vielen organisatorischen Dingen betraut. Doch es war natürlich nicht die Arbeit am Schreibtisch, nicht der Papierkram, die Abrechnungen von Fahrtkosten und GEMA-Gebühren, die ihn an dieser Einsatzstelle in Salzwedel gereizt haben.
Philipp Kasch hatte das Projekt und die Jugendkulturetage schon lange gekannt. Der junge Mann aus Salzwedel nutzte hier mit seiner Band jahrelang selbst die kostenlosen Proberäume. „Ich war oft hier und hatte Lust, mal hinter die Kulissen zu schauen“, erzählt er. Weil er nach seinem Abitur ohnehin erst mal „etwas Anderes“ probieren wollte, nutzte er die Chance und bewarb sich für das FSJ Kultur.
Es ist angelegt als eine Phase der Selbstfindung, des Ausprobierens und der Kreativität. Die jungen Leute im Alter von 16 bis 26 Jahren sollen in den Berufsalltag schnuppern, eigene Projekte verwirklichen. Sie arbeiten bis zu 40 Stunden pro Woche, haben 26 Tage Urlaub, nehmen regelmäßig an Seminaren und Bildungstagen teil.
Finanziert wird das FSJ Kultur und Bildung mit Hilfe von öffentlichen Mitteln. Auch aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) kommt Unterstützung: Im Rahmen des Operationellen Programms 2014 bis 2020 der Europäischen Union werden für das Jahr 2015 Mittel in Höhe von 128.000 Euro bereitgestellt und ab 2016 jährlich 384.000 Euro.
Bei Philipp Kasch und den anderen Freiwilligen kommt davon eine monatliche Aufwandsentschädigung von 320 Euro an. Hinzu kommt das Kindergeld. „Ich komme damit ganz gut zurecht, weil ich noch zu Hause wohne“, sagt der Salzwedler. Seine eigentliche Bezahlung sind die Erfahrungen, die er sammelt, und der Spaß, den er dabei hat. Er genießt es, nach guter, neuer Musik zu recherchieren und viele Menschen kennen zu lernen, wenn er die Bands bei den Veranstaltungen betreut. Er musiziert mit Jugendlichen, hilft bei den Tonaufnahmen oder kümmert sich um den Technikverleih. Der junge Mann macht alles, was gerade ansteht. Erst neulich hat er mit dem zweiten FSJler im Haus eine Diffusionswand für das Studio gezimmert – damit sich der Schall besser verteilt und die Musik einfach besser klingt.
Im Herbst möchte er gern nach Leipzig gehen. „Das ist eine tolle Stadt.“ Entweder studiert er dort Medienkommunikationswissenschaften oder macht eine Ausbildung zum Immobilienkaufmann – je nachdem, was klappt und worauf er Lust hat. Doch bis dahin genießt er die Zeit in seiner Heimatstadt Salzwedel, zusammen mit „Elvis“, dem „alten Hasen“ und natürlich mit all der Musik, die ihn umgibt. „Das ist das Beste, was ich nach der Schule hätte machen können. Es ist einfach perfekt.“
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