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In trockenen Tüchern

- von Kai Bieler -

Wie zerstörerisch Wasser wirken kann, bekamen im Herbst 2010 die Anwohner von Annaburg und Jessen im Landkreis Wittenberg zu spüren als durch nachgebende Deiche ganze Ortsteile unter den Fluten der Schwarzen Elster verschwanden. In solchen Ausnahmesituationen ist schnelles, entschlossenes Handeln auf vielen Ebenen gefragt: bei der Einsatzleitung vor Ort und auch wenn es anschließend darum geht, den langfristigen Hochwasserschutz wieder herzustellen.

„Niemand hatte geahnt, dass der Deich brechen würde“, blickt Roland Karthäuser auf das Hochwasser der Schwarzen Elster 2010 zurück. Der Freiwillige Feuerwehrmann, der damals zum Einsatzleiter berufen wurde, traute seinen Augen nicht, als der Deich Meuselko bei „schönsten Sonnenschein“ plötzlich nachgab. Anhaltende Regenfälle ließen die Tage zuvor die Pegel vieler ostdeutscher Flüsse langsam steigen – dem Druck des Hochwasserscheitels konnte der durchnässte Deichabschnitt zwischen Annaburg und Jessen daraufhin nicht mehr standhalten. Die entstandene Überflutung in den Orten Meuselko, Klossa und Löben zwang die Anwohner teilweise dazu, ihre unter Wasser stehenden Häuser zu verlassen. Erinnerungen an die großen Elbefluten, bei denen Karthäuser ebenfalls Einsatzleiter war, wurden wach. „Beinahe im Minutentakt warfen die Helikopter neue Sandsäcke ab um die Wassermassen einzudämmen“, erinnert sich Karthäuser an die Ausnahmesituation. „Die Zusammenarbeit zwischen Feuerwehr, Polizei, DLRG und Hilfskräften war klasse und ich bin heilfroh, dass in diesen Tagen niemandem etwas passiert ist“, so der erfahrene Feuerwehrmann.

Nachdem das Wasser zurückgewichen war, musste der Wiederaufbau des Schutzdeiches zügig vorangetrieben werden, um weitere Überflutungen zu vermeiden. „Die Ereignisse haben uns die Defizite des Hochwasserschutzes an der Schwarzen Elster deutlich vor Augen geführt“, berichtet Barbara Gurschke vom Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft Sachsen-Anhalt, „Hier musste sofort etwas unternommen werden.“ Der Landesbetrieb gab daraufhin die Wiederherstellung des Deiches auf zwei Kilometern Länge in Auftrag – Hochwasservorsorge bildet ein Kernthema der Einrichtung. Der Europäische Landwirtschaftsfonds zur Entwicklung des ländlichen Raums (ELER), welcher auch Programme zum Hochwasserschutz unterstützt, förderte das Projekt mit 1.367.649,30 EUR – das sind knapp zwei Drittel der Gesamtkosten. Die übrigen Gelder brachten Bund und das Land Sachsen-Anhalt gemeinsam auf. So konnte die vollständige Erneuerung des Deiches bereits im Februar 2011 starten.

In mehreren Planungsabschnitten entwarf die beauftragte Hydroprojekt Ingenieurgesellschaft mbH ein Konzept für eine DIN-gerechte Deichinstandsetzung. Die Realisierung übernahm die Baufirma Johann Wacht GmbH & Co. KG. „Kennzeichnend für diese moderne Bauweise ist die geringe Wasserdurchlässigkeit des Deichstützkörpers auf der flusszugewandten Seite und die gleichzeitig höhere Durchlässigkeit auf der Landseite“, erklärt Barbara Gurschke. Wasserseitig ordnet man hierfür eine etwa ein Meter dicke Dichtungsschicht aus Ton oder Lehm an. Auf der anderen Seite – dem sogenannten Dränkörper – kommen stärker durchlässiger Materialien zum Einsatz. „Aufgrund dieser Bauweise bildet sich die Sickerlinie im Hochwasserfall erst sehr langsam aus. Das sich ansammelnde Wasser wird durch die landseitige, durchlässige Böschung gut ausgeleitet und richtet keinen weiteren Schaden an. Die Standsicherheit des Deiches wird dadurch ebenfalls erhöht“, schildert Barbara Gurschke die Wirkung. Des Weiteren wurden Teile am Schöpfwerk sowie ein Sielbauwerk erneuert, welche beide für die Entwässerung des Hinterlandes erforderlich sind. Ein Deichverteidigungsweg auf der Landseite bietet nun darüber hinaus eine verbesserte Möglichkeit, die Anlage auch in Gefahrensituation zu erreichen.
Im November 2012 konnten die Arbeiten an dem nun im Schnitt drei Meter hohen Deich fertig gestellt werden. Roland Karthäuser, der wie die weiteren Anwohner die Umsetzung mit verfolgt hat, ist sichtlich beruhigt: „Das Land hat den Deichabschnitt ein gutes Stück sicherer gemacht für die Zukunft.“ „Diese modernen Deiche werden die Region die nächsten 80 bis 100 Jahre vor weiteren Überflutungen schützen“, ist sich auch Barbara Gurschke sicher. Eine Einschätzung, welche die Einwohner von Annaburg und Jessen gern hören werden.

Weiterführende Informationen: www.lhw.sachsen-anhalt.de 

Fotos: Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft Sachsen-Anhalt

Der ELER trägt in Sachsen-Anhalt mit rund 904 Millionen Euro EU-Mittel - ein Viertel der gesamten dem Land von der EU zugewiesenen Fördergelder - dafür Sorge, dass die Entwicklung des ländlichen Raums sich als integraler Bestandteil der Gesamtpolitik für Beschäftigung und Wachstum vollzieht. Zusammen mit der nationalen Kofinanzierung stehen öffentliche Ausgaben in Höhe von 1,16 Milliarden Euro bereit. Zusätzlich will Sachsen-Anhalt 240 Millionen Euro aus dem Landeshaushalt beisteuern, so dass das Land rund 1,326 Milliarden Euro für die Entwicklung des ländlichen Raums einsetzen kann.