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Selbstbestimmt Leben im Quartier

EFRE-Projekt unterstützt Menschen mit Demenz

(Von Alexander Lorber, 22.12.2020) 

Wenn ein Mensch an Demenz erkrankt, sind für die Angehörigen, die Betroffenen und Pflegekräfte viele Fragen zu klären. Oft steht der Wunsch im Vordergrund, noch so lange wie möglich ein unbeschwertes, eigenständiges Leben zu Hause aufrechtzuerhalten. Doch der Weg dahin ist nicht leicht und kann viele Hürden aufweisen. „Gerade wenn die Angehörigen selbst nicht in der Lage sind, die Pflege des Betroffenen zu übernehmen, wird es oft schwierig“, weiß Dr. Stephanie Heinrich. Die Wissenschaftlerin leitet das Projekt „Selbstbestimmt und unterstützt leben im Quartier“ am Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Ihr Team will die Bedürfnisse von Menschen mit Demenz erfassen, um die Angehörigen zu entlasten und passgenaue Angebote für die Betroffenen zu finden. Dafür werden Hausbesuche mit eigens dazu ausgebildeten Projektmitarbeiterinnen und -mitarbeitern in Halle, Anhalt-Bitterfeld, im Altmarkkreis Salzwedel, Mansfeld-Südharz, im Saalekreis und in Stendal durchgeführt. Viele Familien sind Stephanie Heinrich und ihrem Team sehr dankbar, dass ihnen das Projekt Hilfe und Orientierung bietet. Gefördert wird das Vorhaben mit rund 800.000 Euro aus dem Programm „Sachsen-Anhalt WISSENSCHAFT – Autonomie im Alter“ des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE). Durch ein Monitoring erhält das Projektteam einen breiten Überblick über die Versorgungsqualität für Menschen mit Demenz in Sachsen-Anhalt.

Die Bedarfe sind vielschichtig

Um die Bedürfnisse der Familien festzustellen, hat das Projekt sogenannte „Dementia Care Nurses“ ausgebildet, die als Kontaktpersonen für die Betroffenen zur Verfügung stehen und Hausbesuche durchführen. Dafür wurde in einem Vorgängerprojekt, finanziert durch den Europäischen Sozialfonds (ESF), ein Qualifizierungsprogramm aus insgesamt 160 Unterrichtseinheiten entwickelt. Das Programm konnten inzwischen sechs Projektbeteiligte an der Halle School of Health Care absolvieren. „Sie haben vertieftes Wissen über Pflegeanforderungen sowie zu rechtlichen und ethischen Fragen erhalten, welche Entlastungs- und Unterstützungsangebote es gibt und welche Methoden im Umgang mit Menschen mit Demenz die besten sind“, so Heinrich. Alle sechs Teilnehmenden haben eine Gesundheits- und Krankenpflegeausbildung. Vier von ihnen haben außerdem ein Masterstudium im Fachbereich Gesundheits- und Pflegewissenschaft absolviert. Zwei befinden sich derzeit noch im Studium. „Sie können die Familien bei ihren Hausbesuchen vor allem zum Thema Pflege und im Umgang mit der Erkrankung fachlich versiert beraten und unterstützen“, erklärt Heinrich. „Darüber hinaus planen, koordinieren und evaluieren sie die Versorgung, mit dem Ziel den Verbleib im häuslichen Umfeld längerfristig zu sichern und die Angehörigen zu entlasten.“ Die sechs „Dementia Care Nurses“ haben in eineinhalb Jahren insgesamt 165 Familien betreut. Die Bedarfe sind in der Regel ganz unterschiedlich ausgeprägt. „Daher gibt es keine einheitliche Lösung, sondern jede Familie braucht ein maßgeschneidertes Bündel an Entlastungs- und Unterstützungsleistungen“, betont die Projektkoordinatorin. Alle Beratungsgespräche werden vom Projektteam dokumentiert, um festzuhalten, welche Bedürfnisse am häufigsten nachgefragt werden und wie viel Unterstützung die Familien im Alltag brauchen.

Aufbau einer Online-Plattform

Stephanie Heinrich und ihr Team haben auch ein Informationsportal eingerichtet, aus dem künftig ein enges Beratungs- und Unterstützungsnetzwerk werden soll. „Die Plattform dient den Familien als erste Anlaufstelle, um Kontakt zu uns aufzunehmen. Sie stellt aber auch wichtige Informationen für die Betroffenen bereit und soll den Kontakt zu anderen Anbietern im Bereich Demenz erleichtern“, sagt Heinrich. Sie freut sich vor allem darüber, dass trotz der Corona-Pandemie die persönlichen Kontakte zu den Familien, wenn auch etwas eingeschränkt, weiterlaufen konnten. Viele Gespräche erfolgen jetzt telefonisch. In Ausnahmefällen findet die aufsuchende Hilfe auch vor Ort statt, mit Abstand und Mund-Nasen-Maske. „Während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 haben wir eine telefonische Befragung der Betroffenen durchgeführt“, berichtet Heinrich. „Dabei waren wir überrascht, welche kreativen Lösungen die älteren Menschen trotz stark eingeschränkter Tagespflege gefunden haben, um ihren Alltag zu meistern. Zum Beispiel Einkäufe mit Nachbarn abzusprechen oder über die Balkone hinweg den Kontakt zur Nachbarschaft aufrechtzuerhalten.“

EFRE-Projekt soll sich verstetigen

Mit Hilfe der EU-Mittel nimmt das Projekt die Qualität der Unterstützung für Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen unter die Lupe. „Wir können in den Gebieten, in denen wir unterwegs sind, vor allem darauf hinweisen, wo noch Angebote fehlen oder wo sie angepasst werden müssen“, erklärt Heinrich. „So haben wir etwa festgestellt, dass die Pflegedienste im Altmarkkreis deutlich schlechter zu erreichen und die personellen Kapazitäten viel geringer als im städtischen Umfeld sind, wie etwa in Halle. Dort sind auch die Fahrtwege günstiger als in den ländlichen Gebieten. Auf dem Land sind zudem die Wege zu Haus- und Fachärzten und zu Tagespflegen viel weiter und der Zugang dadurch erschwert.“ Hier könnten die „Dementia Care Nurses“ helfen, bestehende Hürden zu überwinden, zum Beispiel indem sie mit dem örtlichen Hausarzt oder einem Pflege- und Betreuungsdienst nach passenden Lösungen suchen. Stephanie Heinrich hofft, dass sich das Projekt auch nach Ablauf der Projektlaufzeit im Dezember 2021 verstetigt: „Ich stehe im engen Austausch mit dem Universitätsklinikum Halle, um auszuloten, wie wir eine Regelfinanzierung für das Projekt nach der Förderung erreichen können.“ Weil es aufgrund des demografischen Wandels immer mehr ältere Menschen gibt, wird auch die Zahl der Demenzerkrankungen in Zukunft steigen. „Darauf müssen sich das Gesundheitswesen und die Kommunen einstellen und dafür sorgen, dass die Betroffenen sich bei der Suche nach passenden Unterstützungsarrangements zurechtfinden“, meint Heinrich.

Hier finden Sie weitere interessante Beispiele, wie die Menschen von EU-Fördermitteln aus ELER, EFRE und ESF in Sachsen-Anhalt nachhaltig profitieren. 

Weitere Quellen:

Angebote des Projekts „Dementia Care Nurses

Website des Forschungsverbunds „Autonomie im Alter“: http://autonomie-im-alter.ovgu.de/  

Portal „Europa vor Ort in Sachsen-Anhalt“ der Europäischen Kommission