Ein Deich als Haltefaktor
Nach umfangreichen Bauarbeiten ist der Harzort Berßel bei Hochwasser gut gewappnet
- Text und Bilder von Friedemann Kahl -
In seiner „Harzreise“ schrieb Heinrich Heine: „Ja, die Ilse ist eine Prinzessin, die lachend und blühend den Berg hinabläuft.“ Womöglich wäre sein Urteil anders ausgefallen, hätte der Dichter den Fluss bei Hochwasser kennengelernt. Welchen Schaden die 62 Kilometer lange Ilse anrichten kann, davon können die Bewohnerinnen und Bewohner von Berßel berichten, die bei Tauwetter so manche schlaflose Nacht verbrachten und die Blicke auf das Wasser richteten. „Als bei dem schlimmen Hochwasser im Jahr 2002 im Nachbarort Wasserleben der Damm brach, hat sich die Ilse ihren alten Weg gesucht. Damals stand Berßel zu 80 Prozent unter Wasser“, erinnert sich Ortsbürgermeister Jürgen Seubert. Er sitzt an seinem Schreibtisch und hat einen dicken Aktenordner vor sich liegen. „Die Ilse hat mir schon viel Arbeit beschert“, sagt Seubert und verweist auf die aufwendigen Planungs- und Genehmigungsverfahren, die für den Hochwasserschutz in Berßel nötig waren.
Nachdem die Einwohnerinnen und Einwohner von Berßel massiv auf Schutzmaßnahmen gedrängt hatten, begannen im Frühjahr 2012, zehn Jahre nach der großen Ilse-Flut, schließlich die Bauarbeiten. Um den 700-Einwohner-Ort nachhaltig vor Hochwasser zu schützen, hatte insbesondere ein 430 Meter langer Deich Priorität, der die Ilse im Zaum halten soll. Zudem mussten ein altes Wehr abgerissen und ein Raugerinne neu gebaut werden. Eine Fläche von 3.300 Quadratmetern wurde aufgeforstet und ein Stillgewässer angelegt. Damit die Häuser, die wenige Meter vom Ufer der Ilse stehen, bei einer Flut geschützt sind, wurde schließlich noch eine 140 Meter lange und 1,50 Meter hohe Hochwasserschutzmauer aus Beton zwischen dem Ilse-Ufer und den Wohngrundstücken erreichtet. Die Gesamtkosten der Baumaßnahmen betrugen rund 928.000 Euro. Das Geld kam vollständig aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), der vor allem auch auf Investitionen in die Infrastruktur ausgerichtet ist.
Für den Ort Berßel, der zum 12.000-Einwohner-Städtchen Osterwieck gehört, waren die Hochwasserschutzmaßnahmen von existentieller Bedeutung. „Es gab Bürgerinnen und Bürger, die dachten über Wegzug nach. Andere hatten Bedenken und zögerten hier im Ort etwas zu bauen. Wer lebt schon gern in Ungewissheit“, so Ortsbürgermeister Seubert. Dabei hat das kleine Dorf im Harzvorland eine Menge zu bieten. Die Infrastruktur und die Freizeitmöglichkeiten sind für einen Ort dieser Größe sehr gut: Kindertagesstätte, Restaurant, Eiscafè, Friseur, Chor, Sportverein, Feuerwehr. Der Zusammenhalt unter den Leuten ist wirklich gut. Wenn jemand Hilfe braucht, sind die Nachbarn zur Stelle. Dank des neuen EFRE-finanzierten Hochwasserschutzes sind alle erleichtert und bei der nächsten Flut ist die Sorge nicht mehr ganz so groß“, sagt Jürgen Seubert, der im Ort eine Tischlerei mit fünf Angestellten betreibt. Für Berßel wurde der neue Deich zum Haltefaktor für die Dorfbewohnerinnen und - bewohner. Auch wenn Berßel beim Hochwasser 2013 von einer Flut verschont blieb – Hochwasserszenarien wird es in Zukunft wahrscheinlich öfters geben. Mit dem neuen Deich ist Berßel auf der sicheren Seite.
Das Hochwasserschutzkonzept im Landkreis Harz gründet darauf, die Ortslagen gezielt mit Deichen oder Hochwasserschutzmauern gegen drohende Flutkatastrophen zu schützen und die außerorts vorhandenen Flächen als Überflutungsgebiete zu nutzen. Nach Angaben des Ministeriums für Landwirtschaft und Umwelt des Landes Sachsen-Anhalt sind von den insgesamt 58 Kilometern Deiche im Landkreis Harz 2,6 Kilometer nach dem neusten Stand saniert worden. Seit 2002 wurden im Landkreis etwa elf Millionen Euro in die Beseitigung von Flutschäden investiert. Im gesamten Bundesland wurden seit 2002 für die Beräumung der Hochwasserschäden und zur Verbesserung des Hochwasserschutzes etwa 530 Millionen Euro ausgegeben. Insbesondere nach dem Juni-Hochwasser 2013 wird das Land auch in den kommenden Jahren intensiv an der Verbesserung des Hochwasserschutzes arbeiten.
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