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Smarte Technik für das Gesundheitswesen

EFRE-Projekt „FORMAT-Continuum“ bringt neue Technologien in die Pflege

(Von Alexander Lorber, 22.12.2020) 

Der Pflegeroboter „Pepper“ erinnert mit seinen großen Augen und dem kleinen Kopf ein bisschen an ein Kind. Er kann sich mit Menschen unterhalten, singen, tanzen und reißt auch mal einen Witz. Im deutschen Pflegealltag spielen Roboter wie Pepper und andere technische Hilfsmittel bislang noch eine geringe Rolle. Das will ein Forschungsteam an der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg ändern. Das Projekt mit dem Titel „FORMAT-Continuum“ verfolgt das Ziel, technische Innovationen aus dem Laborumfeld in den Pflegealltag zu bringen. „Die Technik soll jedoch keine Pflegekräfte ersetzen, sondern vielmehr die hohen Belastungen in der Pflege reduzieren, das Pflegepersonal punktuell unterstützen sowie den Patientinnen und Patienten mehr Selbstständigkeit ermöglichen“, erklärt Projektleiter Prof. Dr. Patrick Jahn. Gefördert wird das Projekt mit Mitteln aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) in Höhe von rund 900.000 Euro und vom Land Sachsen-Anhalt über das Programm „Sachsen-Anhalt WISSENSCHAFT – Autonomie im Alter“. Im hauseigenen „Future Care Lab“ hat das Projekt schon eine umfangreiche Auswahl an Technologien gesammelt, die sich für den Einsatz in Krankenhäusern und Seniorenheimen eignen würden.

Wo Maschinen dem Menschen helfen können

Bei den meisten Technologien, die sich das Team bereits im Rahmen des Vorgängerprojektes „FORMAT“ angeschaut hat, handelt es sich um assistive Technologien, die älteren Menschen und Pflegekräften im Alltag helfen sollen. Zum Beispiel ein Ultraschallblasensensor, der den Füllstand der Blase misst und Patienten mit Blasenschwäche warnt, rechtzeitig eine Toilette aufzusuchen. Oder ein künstliches Robbenbaby, das auf Berührungen wie Streicheln oder Kraulen reagiert und Menschen mit Demenz im Pflegealltag aktivieren kann. Und das Telepräsenzsystem „Double“, das per Videotelefonie etwa ein Gespräch zwischen der Gesundheitsfachfrau und dem Hausarzt auch aus der Ferne ermöglicht. „Solche Technologien bieten enorme Potenziale, doch bisher finden Auszubildende in den Lehrplänen der Aus- und Weiterbildung im Gesundheitswesen kaum Angebote dazu“, kritisiert Prof. Dr. Patrick Jahn. „Dieses Know-how muss aber vermittelt werden, sonst sind die Pflegekräfte in Zukunft auf die Anforderungen der Digitalisierung nicht vorbereitet“, betont Jahn. Das Problem betrifft natürlich nicht nur Sachsen-Anhalt, sondern alle Bundesländer. In einer Befragung von Auszubildenden in den Gesundheitsberufen aus Sachsen-Anhalt, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern, die das Vorgängerprojekt „FORMAT“ durchführte, gaben rund Dreiviertel der Befragten an, dass sie Schulungen zum bedarfsgerechten Einsatz von technischen Assistenzsystemen in der Ausbildung schmerzlich vermissten. „In der ersten Förderphase haben wir festgestellt, dass der Transfer aus unserem „Future Care Lab“ in die Einrichtungen vor Ort sehr schwierig ist, weil die Technik-Skepsis überwiegt oder der Nutzen nicht erkannt wird. Wir kamen zum Schluss, dass die Implementierung nur gelingen kann, wenn wir den Prozess aktiv begleiten“, berichtet Sebastian Hofstetter, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt „FORMAT-Continuum“.

Der Roboter kann die Pflegekraft nicht ersetzen

Viele Pflegekräfte sind durchaus offen für den Einsatz innovativer Technik im Pflegealltag, sagt Prof. Dr. Patrick Jahn: „Sie wollen den Bewohnerinnen und Bewohnern im Seniorenheim auch Angebote machen, die über die Absicherung der basalen Bedürfnisse wie Ernährung und Hygiene hinausgehen.“ Roboter wie Pepper oder das Robbenbaby können für Ablenkung sorgen oder auf Gefühle und Emotionen reagieren, also einen therapeutischen Zweck erfüllen. Andere technische Hilfsmittel verschaffen den Patientinnen und Patienten mehr Autonomie, wie der elektrische Rollator mit GPS-Funktion, ein Sitz- und Aufstehbett oder auch den humanoiden Kommunikationsroboter Pepper. „Indem wir den Menschen die Technik vor Ort zeigen, schaffen wir ein Verständnis dafür, was sie leisten kann. So stärken wir die Akzeptanz für das neue Hilfsmittel, wenn die Pflegekräfte oder die Heimbewohner den Nutzen dahinter erkennen“, erklärt Jahn. „Die Digitalisierung soll niemandem Angst machen, sondern den Menschen unter die Arme greifen und so letztendlich die Versorgungsqualität verbessern.“

Gelungener Praxistransfer mit EFRE-Mitteln

Prof. Dr. Patrick Jahn und Sebastian Hofstetter sind überzeugt, dass Roboter und technische Assistenzsysteme in Zukunft mehr Bedeutung im Gesundheitssystem erfahren werden. Denn die Gesellschaft wird immer älter und der Druck auf das Gesundheits- und Pflegesystem wächst, sagt Patrick Jahn: „Der Erfolg der Digitalisierung hängt letztlich auch davon ab, wie passgenau die Technik mit Blick auf die Bedürfnisse der Menschen vor Ort entwickelt wird. Also kann es nur gut und richtig sein, dass wir die Betroffenen – die Pflegekräfte und die Patienten – in die Entwicklung mit einbeziehen“, so Jahn. Bisher verläuft die Entwicklung oft rein technikzentriert. Der Ansatz des Projekts „FORMAT-Continuum“ sorgt nun dafür, dass der Prozess durch die Gesundheits- und Pflegewissenschaften aktiv begleitet wird. Und zwar durch alle Prozessschritte von der Sensibilisierung, der evaluativen Einführung, bis zur Qualifizierung und Implementierung. „Fast alle Projektbeteiligten sind ausgebildet in einem Gesundheits- und Therapieberuf. Wir wissen also, was in der Pflege wo und wie gebraucht wird“, erläutert Hofstetter. „Bisher gibt es keinen strukturierten Einführungsprozess für neue Technologien in die gesundheitlich pflegerische Versorgung. Daher freuen wir uns, hier in Sachsen-Anhalt mit Unterstützung durch EFRE-Mittel Vorreiter auf diesem Gebiet zu sein.“

Hier finden Sie weitere interessante Beispiele, wie die Menschen von EU-Fördermitteln aus ELER, EFRE und ESF in Sachsen-Anhalt nachhaltig profitieren. Weitere Quellen:

Überblick der Technologien aus dem Projekt „FORMAT-Continuum“: https://format.medizin.uni-halle.de/technologie/  

Website des Forschungsverbunds „Autonomie im Alter“: http://autonomie-im-alter.ovgu.de/  

Portal „Europa vor Ort in Sachsen-Anhalt“ der Europäischen Kommission