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Mit Leitkuh Sally im Gleichgewicht der Natur

Die Züchtung bedrohter einheimischer Nutztierarten sorgt für den Erhalt unseres ländlichen Kulturgutes – die Europäische Union hilft dabei

- von Grit Gröbel -

Heimat ist identitätsstiftend. Zu der unsrigen in Sachsen-Anhalt gehören seltene, vom Aussterben bedrohte Nutztierarten. Wenn sich die Bauern zum Beispiel um die Braune Harzer Ziege, das Rheinisch Deutsche Kaltblut oder das Harzer Rotvieh kümmern, so betreiben sie aktiv die Erhaltung tiergenetischer Ressourcen. Und sie sorgen auf diese Weise ein gutes Stück für die Unverwechselbarkeit unseres Landstriches. Die Natur dankt es. Die Touristen und auch die Feinschmecker ebenso.
Dass jede Region im „Haus Europa“ eigene Identitäten bewahren soll, liegt der Europäischen Union hierbei am Herzen. Sie fördert die Haltung und Aufzucht bedrohter einheimischer Nutztierarten. In Sachsen-Anhalt werden dafür Gelder aus dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) eingesetzt.
Weshalb und mit welcher Hingabe sich die Landwirte um die Züchtung der Tiere sorgen, zeigt das Beispiel aus Wallhausen. Das Rentnerpaar Günter und Bärbel Becker sind Bauern aus Leidenschaft. Das Harzer Rotvieh steht auf ihren Streuobstwiesen.

Eigentlich begann seine Liebe zu Kühen bereits im zarten Babyalter beim Ritt auf großelterns Tieren, spätestens jedoch als er 12 Jahre alt wurde. Damals erhielt der heute fast siebzigjährige Günter Becker seine erste eigene Kuh. Von ihm auf den Namen Loni getauft. Bilder von einst sind heute im Museum für Fleischrinderzucht im altmärkischen Morsleben oder in der Chronik des Rinderzuchtverbandes Sachsen-Anhalt verewigt.
War es damals Loni, die seine Seele begeisterte, so sind es heute zum Beispiel: Sissy, Selina, Susann und Sophie. Und natürlich Sally! Sie ist ein preisgekröntes Harzer Rotvieh. Beckers Frau Bärbel geht für die 13-jährige Kuh gerade auf „Bräutigamschau“. Datenbankgestützt wird sie schnell fündig. Der Bulle Wombat soll es am besten sein, der für die Besamung in Frage kommt. Warum? Die Datenbank des Rinderzuchtverbandes gibt für seine und Sallys Nachkommen Null Prozent Inzuchtgrad an. Bestnote sozusagen!

Was so leicht klingt, verlangt Ausdauer, hohes Wissen und keine massenhafte Hochleistungstierhaltung. „Unsere Kühe geben nur Milch, um ihre Kälber aufzuziehen. Die Haltung erfolgt in aller Ruhe, stressfrei. Dadurch leben sie wesentlich länger. Ihr Fleisch wird im Harz als Delikatesse geschätzt.“, fasst Günter Becker das für ihn Wichtige bei der Tierhaltung zusammen. Dabei schweift sein Blick über die schwarze Hornspitze, die dunklen Klauen, das helle Flotzmaul und die ebenso helle Schwanzquaste von Sally. Der Kenner weiß, das sind die gut sichtbaren Merkmale des Harzer Rotviehs. Nicht sichtbar, aber dennoch für unsere Region wichtig, ist ihr relativ leichtes Gewicht. Die Tiere eignen sich dadurch sehr gut zur Landschaftspflege. An Harzer Berghängen oder auf Streuobstwiesen grasen sie gern. Auch sehr zum Entzücken von Touristen bei ihrem Urlaub auf dem Bauernhof.

Doch die Begegnung mit dieser bedrohten einheimischen Nutztierart ist noch nicht lange wieder möglich. Aus wirtschaftlichen Gründen wurde das Harzer Rotvieh in den 50er Jahren durch leistungsstärkere Rassen verdrängt, der letzte Zuchtbulle 1963 geschlachtet. Die Rasse war somit vom Erdboden verschwunden. Ob es nun ausversehen oder aus menschlicher Weitsicht geschah, dass damals 60 Portionen gefrorener Spermien dieses Bullen nicht entsorgt wurden, ist heute nicht mehr nachvollziehbar. Das es aber ein Glück war, ist unumstößlich. Nach 20 Jahren wurden die Portionen entdeckt und die Züchtung des Harzer Rotvieh begann ganz langsam von Neuem. Die Zucht auf einen einzigen Bullen aufzubauen, birgt natürlich die große Gefahr der Inzucht. Noch heute wird daran gearbeitet, den Inzuchtgrad möglichst niedrig zu halten. Bei den Kälbern von Sally und Wombat wird dies gelingen.

Die Haltung der Tiere ist äußerst pflegeintensiv. Glaubt man Günter Becker, so brauchen die Kühe Familienanschluss. Der kleine Hof und die gepachteten sowie eigenen Wiesen sind ganz auf dieses Konzept angelegt. „Von der Haltung in Kleinstbeständen, die nicht auf eine Leistungssteigerung ausgerichtete Tierzucht orientiert ist, kann man nicht leben. Um den Bauern einen Anreiz zu geben, sich dennoch um bedrohte Rassen zu kümmern, werden die Tiere gefördert.“, erklärt der Rentner, der schon immer nebenberuflich Landwirtschaft betrieb.In einem Zeitraum von fünf Jahren erhält er für sechs Tiere insgesamt 4.500 Euro Zuschuss aus dem ELER, mit Beteiligung des Landes Sachsen-Anhalt. „Das hilft, um nicht den langen Atem bei der Zucht zu verlieren.“, ergänzt seine Frau.

Wie in Wallhausen am Fuße des malerischen Kyffhäusers, wird auch andernorts gefördert: In Ummendorf beispielsweise die Haltung von 34 Ziegen und einem Bock der Rasse Harzer Ziege. Oder das Merinofleischschaf, um das sich die Agrargenossenschaft in Heinrichsberg kümmert. Doch ganz gleich welche Rasse, jede trägt zum Gleichgewicht der Natur und Heimatbild bei.„Man zerstört doch auch keine alten Burgen und Schlösser, nur weil sie nicht mehr gebraucht werden!“ Treffsicherer als mit diesen Worten von Günter Becker kann die Bedeutung der Züchtungen als Teil unseres regionalen, ländlichen Kulturgutes wohl kaum ausgedrückt werden.

Der ELER trägt in Sachsen-Anhalt mit rund 904 Millionen Euro EU-Mittel - ein Viertel der gesamten dem Land von der EU zugewiesenen Fördergelder - dafür Sorge, dass die Entwicklung des ländlichen Raums sich als integraler Bestandteil der Gesamtpolitik für Beschäftigung und Wachstum vollzieht. Zusammen mit der nationalen Kofinanzierung stehen öffentliche Ausgaben in Höhe von 1,16 Milliarden Euro bereit. Zusätzlich will Sachsen-Anhalt 240 Millionen Euro aus dem Landeshaushalt beisteuern, so dass das Land rund 1,326 Milliarden Euro für die Entwicklung des ländlichen Raums einsetzen kann.