Vom Herbst in den Frühling
Dank eines Integrationsprojekts möchte eine internationale Studentin gern in Magdeburg bleiben
(Text: Bianca Kahl)
Es war Herbstanfang, als Siyana Dimitrova das erste Mal nach Magdeburg kam. „Das war nicht so schön“, erinnert sie sich. Alle hatten sie vorgewarnt. Geh‘ doch lieber nach München, Köln oder Berlin, hatten sie gesagt, nicht nach Ostdeutschland! Doch sie hat sich bewusst für Magdeburg entschieden, des Studienangebotes wegen. Heute sagt sie: „Ich habe hier alles, was ich brauche.“ Sie fühlt sich wohl, hat viele Freundinnen und Freunde, gute berufliche Qualifikationen – und würde gern bleiben. Das hat sie auch dem Projekt „Willkommen um zu bleiben“ zu verdanken.
Siyana Dimitrova kommt aus dem kleinen Ort Berkovitsa in Bulgarien. 2012 hat sie an einem Fremdsprachengymnasium ihr Abitur gemacht. Ihre komplette Klasse wurde darauf vorbereitet, in Deutschland zu studieren. „Das ist sehr populär bei uns“, sagt die 22-Jährige. Die Abiturientinnen und Abiturienten hatten allein sechs bis sieben Stunden intensiven Deutschunterricht pro Woche. Als Siyana Dimitrova ihr Sprachdiplom ablegte, wurde ein Mitarbeiter der Deutschen Botschaft auf ihre guten Leistungen aufmerksam. Er vermittelte ihr ein Stipendium vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD). Mit Hilfe dieses Stipendiums studiert sie seit September 2012 an der Hochschule Magdeburg-Stendal (FH).
„Ich habe schon mal in München gelebt und bei McDonald‘s gearbeitet“, erzählt sie. „Das war mir nichts.“ Zu große Stadt, zu viele Menschen. In Magdeburg hingegen erreiche sie alles gut mit dem Fahrrad. Vor allem aber gefielen ihr die vielfältigen, praktischen Angebote rund um den Studiengang Journalismus.
Dennoch, der Anfang war schwer. Sie kannte niemanden, war unsicher, musste erst mit den für sie fremden Gewohnheiten in Deutschland vertraut werden. Heute lächelt sie über sich selbst, wenn sie von den kleinen und großen Hürden erzählt. Von Öffnungszeiten und Terminkalendern, die sie so aus Bulgarien nicht kannte. „Ich dachte: Seid ihr denn alle so dumm und könnt euch das nicht merken? Aber jetzt habe ich selbst einen Terminkalender. Hier muss man immer alles lange vorher vereinbaren. Zu Hause geht man einfach dort hin, wo man gerade etwas braucht.“
Besonders große Sorgen machten ihr die Pflichtpraktika, die sie während des Studiums absolvieren musste. Doch zum Glück hat sie über eine Freundin von dem Projekt „Willkommen um zu bleiben“ erfahren. Es war vom Oktober 2012 bis Ende Juni 2015 bei der INT-Gesellschaft zur beruflichen und sozialen Integration mbH angesiedelt und hat sich ganz darauf konzentriert, ausländische Studierende sowie Absolventinnen und Absolventen dabei zu unterstützen, auf dem hiesigen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. „Das ist so eine großartige Sache“, findet Siyana Dimitrova. „Meine Freundinnen und Freunde in anderen Städten kennen so etwas nicht.“
Sie hingegen konnte von den Tipps für ihre Bewerbungsunterlagen profitieren und bekam innerhalb weniger Stunden den Kontakt zu einer Eventagentur vermittelt. Nach einem erfolgreichen Bewerbungsgespräch war die junge Frau bei „Kreiser Events“ für die Öffentlichkeitsarbeit von Veranstaltungen zuständig. Noch immer schwärmt sie von der Inhaberin Leona Kreiser, mit der sie über alles offen sprechen konnte. Wenn sie unsicher war, fragte sie einfach: „He, nützt dir das hier wirklich etwas, wenn ich dir für den Newsletter zuarbeite oder ist das alles nur doppelter Aufwand für dich?“ Doch sie bekam die Rückmeldung „Klar, du bist gut!“ und damit den Rückhalt, um immer selbstsicherer zu werden.
Ihre Ansprechpartnerinnen bei der INT waren Lisa Hartmann und Nataliya Detka. Sie gingen mit den Studierenden die Bewerbungsmappen durch, erklärten, was man besser machen könnte. „In anderen Ländern sind da ganz andere Formalien üblich. Zum Beispiel kennen es viele gar nicht, dass in die Bewerbungsunterlagen ein Foto vom Fotografen soll“, erklärt Lisa Hartmann. Im Rahmen des Projektes wurden auch Seminare angeboten zu Bewerbungscoaching, Selbstvermarktungsstrategien, Arbeitsrecht und allgemeinen Themen rund um den Arbeitsmarkt in Sachsen-Anhalt. Regelmäßig gab es auch Exkursionen direkt in große regionale Unternehmen.
Auf diese Weise konnten viele Kontakte zwischen der Wirtschaft und den so händeringend gesuchten Fachkräften geknüpft werden. Lisa Hartmann weiß gleich mehrere Beispielfälle, in denen vermittelte Praktika in eine Festanstellung mündeten. Wehmütig blickt sie auf die 21 Monate zurück, die das Projekt „Willkommen um zu bleiben“ andauerte. 300 Studierenden und Absolventinnen und Absolventen konnte die DAA weiterhelfen. Finanziert worden ist das Ganze auch mit Geldern aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF), aus dem allein 243.000 Euro zur Verfügung gestellt worden sind.
„Es wäre so wichtig, dass es solche Angebote und Netzwerke gäbe, doch leider ist aktuell keine Fortsetzung in Sicht“, bedauert Lisa Hartmann. Angesichts des demografischen Wandels und des damit einher gehenden Fachkräftemangels werden gerade die gut ausgebildeten ausländischen Arbeitskräfte dringend gebraucht im Land. Man könne nicht riskieren, dass die, die bereits hier sind, keinen Anschluss finden oder sich einfach unwohl fühlen. Sie sollen sich willkommen fühlen – um zu bleiben.
Siyana Dimitrova pflichtet ihr bei. Weil sie aus eigener Erfahrung um die Startschwierigkeiten von internationalen Studierenden weiß, engagiert sie sich an der Hochschule als „Buddy“, also als eine Art Patin, und konnte mittlerweile auch eine Stelle als wissenschaftliche Hilfskraft ergattern. Sie arbeitet an ihrer Bachelor-Arbeit, die sie voraussichtlich im Frühjahr abgeben wird, und träumt davon, danach auch ihren Master in Magdeburg ablegen zu können. Kürzlich wurde sie für ihr soziales Engagement und ihre guten Studienleistungen ausgezeichnet.
Nach ihrem Praktikum bei der Agentur Kreiser Events hat sie keine Hilfe bei Bewerbungen mehr benötigt. Sie fühlte sich gut vorbereitet und war mutig genug, um alles selbst in die Hand zu nehmen. In den vergangenen Wochen war sie viel unterwegs: Mehrere Wochen auf Reisen in Russland, zur Sommerschule in Lettland, danach zwei Wochen in der bulgarischen Heimat. Irgendwann war es Zeit, endlich wieder zurückzukehren – nach Magdeburg, in ihre zweite Heimat. „Ich habe jetzt in beiden Ländern – in Bulgarien und in Deutschland – Leute, die ich anrufen kann, um zu sagen, dass ich zurück bin. Das ist schön.“