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Wie man mit vielen Fäden einen Sack zubindet

Der „Kopf“ der Lokalen Aktionsgruppe „Mittlere Elbe – Fläming“ trifft sich in Coswig

(Bianca Kahl, 06.02.2018)

Die Gruppe trifft sich im „Simonetti Haus“ – ein unauffälliges Fachwerkgebäude in Coswig. Tagesordnungspunkt 1: Eine kleine Führung. Schließlich muss man wissen, worüber man spricht. Die Anwesenden blicken staunend nach oben: Ende des 17. Jahrhunderts errichtet und vermutlich auch als Freimaurerloge genutzt, überrascht das Simonetti Haus mit seinem außergewöhnlichen Innenleben. Denn die Zimmerdecken sind mit prachtvollen Stuckarbeiten verziert: Vermutlich kein Geringerer als der Meister Giovanni Simonetti hat sich einst von Alchemie und griechischer Mythologie inspirieren lassen – und die Zimmer mit regelrechten Stuckbildnissen verziert. Lange Zeit waren diese versteckten Kunstschätze von der Öffentlichkeit vergessen.

„Wir hatten ja angeregt, dass man im Simonetti Haus erst mal solche Projekte umsetzt, mit denen man Geld verdienen kann“, erinnert Elke Kurzke die Anwesenden. Elke Kurzke ist eine LEADER-Managerin. Sie arbeitet für die Lokale Aktionsgruppe „Mittlere Elbe – Fläming“ (LAG). Heute hat sich sozusagen der harte Kern der LAG, die Koordinierungsgruppe, zu einer ihrer regelmäßigen Sitzungen getroffen.

Gruppe tauscht sich über fast 60 Projekte aus

Elke Kurzke moderiert das Treffen und wirft eine lange Liste via Projektor im Simonetti Haus an die Wand. Als LEADER-Managerin ist sie dafür verantwortlich, Förderprojekte in der Region zu betreuen. Wer eine Idee hat, von der bestenfalls die ganze Region profitieren könnte und auf Fördergelder hofft, der kommt zu ihr. Seien es der Ausbau eines Hotels, die Vermarktung kultureller Güter, ein Dorfgemeinschaftshaus oder die Weiterbildung von Personal im Ehrenamt.

Die lange Liste an der Wand zeigt ebensolche Vorhaben. Die Mitglieder der Koordinierungsgruppe haben sich getroffen, um sich gegenseitig über den aktuellen Stand zu informieren. Derzeit geht es um 59 Projekte und ein Gesamtvolumen von rund 3,8 Millionen Euro EU-Zuweisungen.

Der Verein „Simonetti Haus Coswig (Anhalt)“, zum Beispiel, plant, ein Café unter den Stuckdecken einzurichten. Seit 2007 engagiert er sich dafür, das Bauwerk und sein wertvolles Innenleben vor dem Verfall zu bewahren. Er will das Haus für die Öffentlichkeit nutzbar machen – als Ort der Begegnung und für kulturelle Veranstaltungen. Dabei konnte der Verein schon mehrfach von Fördermitteln profitieren, doch die notwendigen Sanierungsmaßnahmen sind teuer. Nicht selten scheitert es daran, dass man den vorgeschriebenen Eigenanteil nicht aufbringen kann. Denn 100-prozentige Förderungen gibt es bei LEADER nicht.

Von der ersten Idee für ein Vorhaben bis zum positiven Förderbescheid können mitunter Jahre vergehen. Häufig sind viele verschiedene Vorschriften zu beachten und Behörden zu beteiligen. Heute sitzen allein 15 Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Verwaltungen, Einrichtungen und Vereine an einem Tisch.

Jeder ist eingeladen, sich zu engagieren

In einer LAG engagieren sich nicht nur alle Kommunen und Landkreise aus dem betreffenden Gebiet.  Eingeladen sind im Grunde alle Organisationen und Privatleute. Alle gemeinsam entwerfen zunächst eine Entwicklungsstrategie, die die Region als Ganzes voranbringen soll, und klopfen die vielen Vorhaben darauf ab, ob sie in diese Strategie passen. Danach bekommt jedes Projekt einen Platz auf der Prioritätenliste: Was hat Vorrang, was muss noch warten?

Auf diese Weise lassen sich auch leicht mehrere Akteure zusammenbringen und übergreifende Projekte umsetzen. Die LAG „Mittlere Elbe – Fläming“ ist zum Beispiel besonders stolz auf eine neu herausgegebene Broschüre: Das „Fläming-Reisetagebuch“ präsentiert übersichtlich alle Angebote im gleichnamigen Naturpark. Zuvor musste man sich alle einzeln recherchieren. Ein weiteres Mammutprojekt war es, die touristische „Straße der spätgotischen Flügelaltäre“ auf den Weg zu bringen. Sie erschließt die Kunstschätze der vielen kleinen Dorfkirchen für Besucherinnen und Besucher.

Demokratische Entscheidungen für die Region

Alle Abstimmungen und jede Auswahl der Projekte sind demokratisch organisiert. Sämtliche Sitzungen der LAG sind öffentlich. Prinzipiell gilt: „Jeder kann an einer LAG teilhaben – und die Leute machen das alle ehrenamtlich“, stellt Elke Kurzke klar. „Viele von ihnen sind schon von Anfang an dabei, seit 1996 LEADER II in der Region startete. Das sind echte Urgesteine und sie haben viel für ihre Heimat getan.“

Sie selbst arbeitet seit 2009 für die LAG. Als studierte Landespflegerin und mit Berufserfahrungen als Landschafts- und Regionalplanerin kannte sie sich damals zwar schon in Gefilden wie Landschaftsbau, Naturschutz oder Vorschriften für Baugenehmigungen aus. Was sie sich aber neu aneignen musste und auch heute immer wieder auffrischt, ist das Wissen um sämtliche Förderrichtlinien.

„Wenn ich jemanden betreue, dann im Ganzen. Im Grunde versuche ich, die komplette Fördermittelpalette des Landes Sachsen-Anhalt auszuschöpfen“, erklärt sie. „Dann steuere ich vielleicht ein Projekt, das im Rahmen des LEADER-Programmes mit 5 Millionen verzeichnet ist. Am Ende geht es aber um deutlich mehr als 15 Millionen Euro und verschiedene Fördertöpfe.“

Eigentlich war eine LEADER-Managerin bisher „nur“ eine Vermittlerin für Gelder aus dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER). In der aktuellen Förderperiode kommen Mittel aus den EU-Fonds ESF und EFRE hinzu – das macht ein innovativer Ansatz des Landes Sachsen-Anhalt möglich (siehe Infokasten). Aber Fördertöpfe und Förderprogramme gibt es hierzulande Hunderte. Es kommt nur darauf an, was man genau vorhat und ob die Rahmenbedingungen passen.

Alle Fäden zusammenführen

„Viele Dinge sind eben nicht einfach ein Stück Beton“, erklärt Elke Kurzke das Ganze an einem Bauvorhaben. Die Ideen der Akteure vor Ort können viele Bereiche und damit auch viele Fördermöglichkeiten berühren. Im Simonetti Haus spielen neben der Bausubstanz und dem Denkmalschutz auch die Kunst, Kultur sowie soziale Aspekte eine Rolle. Zudem geht es oft auch um die Sicherung oder Schaffung von Arbeitsplätzen. Um bei der Verwirklichung zu helfen, versuchen die LAG und Elke Kurzke, alle Fäden zusammenzuführen und am Ende einen einzigen Strick daraus zu drehen, mit dem sie den jeweiligen Sack zubinden können. 

Für solche Fälle wie den des Simonetti Hauses sei der neue CLLD-Ansatz großartig, findet Kurzke. Denn neben der „Vermischung“ mehrerer Fördertöpfe öffne er auch die Möglichkeit, Projekte gemeinsam mit den Aktionsgruppen anderer Regionen oder sogar über internationale Kooperationen zu verwirklichen. Der begnadete Stuckateur Giovanni Simonetti hat nämlich nicht nur in Mitteldeutschland, sondern auch in Städten im heutigen Tschechien und Polen gewirkt. Da winken viele Möglichkeiten der Zusammenarbeit. Doch wie gesagt: Ohne Eigenmittel geht leider nichts. Der Verein muss sich also zunächst nach anderen Geldquellen umschauen. Erst dann lohnt der Blick in die große Palette der Fördertöpfe.

www.mittlere-elbe-flaeming.de

Info: LAG und LEADER

Eine Lokale Aktionsgruppe (LAG) entwirft die von der örtlichen Bevölkerung betriebene Strategie für lokale Entwicklung (LES) und führt sie durch. Sie setzt sich aus Vertretern lokaler öffentlicher und privater sozioökonomischer Interessen zusammen. Dabei sind auf der Ebene der Beschlussfassung weder Behörden im Sinne der nationalen Vorschriften noch eine einzelne Interessengruppe mit mehr als 49 Prozent der Stimmrechte vertreten.Die LAG „Mittlere Elbe – Fläming“ ist eine von 23 solcher Regionen in Sachsen-Anhalt. Sie umfasst Teile der Landkreise Wittenberg, Jerichower Land, Anhalt-Bitterfeld sowie der kreisfreien Stadt Dessau-Roßlau.Sachsen-Anhalt profitiert bereits seit 1991 von dem besonderen europäischen Förderansatz LEADER, mit dem ländliche Gebiete in der Europäischen Union unterstützt werden. Die aktuelle Förderperiode reicht von 2014 bis 2020. Hier geht das Land mit dem sogenannten CLLD-Ansatz neue Wege.Die Abkürzung CLLD steht für „Community-Led Local Development”, also lokale Entwicklung, die von der Bevölkerung selbst vorangetrieben wird. Nach dem Bottom-up-Prinzip, also von der Basis her, sollen Strategien für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Gestaltung der Region entworfen werden. Für die Förderung konkreter Projekte stehen dann u. a. Mittel aus den drei EU-Fonds ELER, EFRE und ESF zur Verfügung.