Menu
menu

Neues Leben in alten Mauern

- von Kai Bieler -

Bürgermeister Hartmut Busch muss lächeln, wenn er an dem frisch sanierten Fachwerkhaus im Zentrum von Heudeber, einem Ortsteil der Gemeinde Nordharz, vorbeikommt. „Wenn man 20 Jahre lang an einer Ruine vorbei läuft“, erzählt der Bürgermeister „ist dieser Anblick eine wahre Freude.“ Denn aus der leer stehenden Gaststätte „Zum Krug“ ist durch den Einsatz eines ortsansässigen Familienbetriebes wieder ein repräsentativer „Blickfang des Ortes“ geworden. 

Als eines der ältesten und historisch bedeutendsten Gebäude des Örtchens Heudeber blickt der „Gemeindekrug“ auf eine wechselvolle Geschichte zurück. Vor etwa 250 Jahren wurde der damals äußerst kostspielige Bau dieses Gemeindehauses beauftragt. Laut der Dorfchronik lieh sich die Dorfgemeinschaft damals sogar Geld von wohlhabenden Bauern, um das Vorhaben zu finanzieren. Der „Krug“ fungierte nach seiner fortan als Gemeindesitz sowie amtlicher Sitz des Bürgermeisters. Im hauseigenen Tanzsaal wurden zudem Volksfeste begangen sowie Tagungen und Gerichtsprozesse abgehalten. In den folgenden Jahrzehnten diente das Gebäude wechselnden Besitzern als Gast- und als Wohnhaus sowie zu DDR-Zeiten als „Kulturhaus“ der LPG Heudeber. Nach der Wende stand der denkmalgeschützte Bau leer und verfiel zusehends. Der einst glanzvolle Dorfmittelpunkt sollte schließlich 2009 versteigert werden.

In dieser Situation wurden die Brüder und Patrick und Hendrik Meyer auf das Gebäude aufmerksam. Die beiden Dachdeckermeister waren erst vor wenigen Jahren von Wernigerode nach Heudeber in den Nordharz gezogen. Damals erstanden sie einen alten Bauernhof und bauten diesen zu ihrem neuen Firmen- und Familiensitz um. Nach der Sanierung eines weiteren alten Wohnhauses sollte der Wiederaufbau des „Kruges“ nun ihr nächstes Projekt werden. „Wir hatten vor, das Haus innerhalb von zehn Jahren in unserer Freizeit nach und nach zu sanieren und auszubauen“, erinnert sich Patrick Meyer. Auf der Auktion traten die Dachdeckermeister als einzige Bieter auf und erstanden die alte Gaststätte entsprechend günstig für das Mindestgebot von 2.000 Euro.

Auch Hartmut Busch, seit mittlerweile 18 Jahren Bürgermeister in Heudeber, wohnte der Auktion interessiert bei. „Bei der Versteigerung eines so ortsprägenden Gebäudes wollte ich natürlich wissen, in welche Hände das Haus kommt“, erzählt der Bürgermeister Busch. „Bei diesem Objekt war es eine Herzenssache.“ Neugierig auf die neuen Besitzer und deren Vorhaben sprach er direkt auf der Versteigerung mit Patrick und Hendrik Meyer über deren Sanierungspläne für den „Krug“. Von Hartmut Busch kam auch der Vorschlag, sich um Fördergelder für die Finanzierung der aufwändigen Sanierung zu bemühen.

Im Rahmen des Förderantrages wurde nicht mehr nur die Modernisierung des Gebäudes an sich diskutiert. Auch dessen langfristige Nutzung auf einer wirtschaftlich tragfähigen Basis wurde angestrebt. So meldeten gleich mehrere Kleinunternehmer vor Baubeginn ihr Interesse an einem möglichen Firmensitz im Gemeindekrug an. Zu ihnen gehörten ein Frisiersalon mitsamt Kosmetikstudio sowie eine ortsansässige Physiotherapeutin, die nach geeigneten Räumlichkeiten suchte. In diesem Zusammenhang wurde auch eine seniorengerechte Bauausführung vereinbart, um älteren Bürgern Heudebers die Nutzung des Hauses zu ermöglichen und so mehr Lebensqualität zu bieten. Aufgrund seiner Bedeutung für die Dorfentwicklung und die Steigerung der Lebensqualität im ländlichen Raum unterstützte auch die lokale Aktionsgruppe Harz des LEADER-Programms das Projekt. Innerhalb von nur einem Monat wurde der Fördermittelantrag bewilligt. Damit flossen 78.400 Euro aus dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) sowie 19.600 Euro vom Land Sachsen-Anhalt in die Gesamtfinanzierung von knapp 280.000 Euro.

Mit viel Engagement machten sich Patrick und Hendrik Meyer mit ihrem Handwerksunternehmen an die Arbeit. Dabei stellte sich glücklicherweise heraus, dass sich die Bausubstanz des Gemäuers in einem erstaunlich guten Zustand befand. „Das alles war ein echter Glücksfall“, freut sich Hartmut Busch, „denn einerseits hätte das Projekt ohne die Förderung in der Form kaum realisiert werden können. Aber auch die sehr gute Arbeit der Dachdecker ist über die Maßen lobenswert.“ Hartmut Busch schwärmt: „Diese beiden schrecken vor nichts zurück und haben hier im Ort an eine Baustelle in Angriff genommen, die andere nicht einmal für Geld angefasst hätten.“

Im Zuge der Sanierung wurde der ortstypische Fachwerk-Charakter des „Gemeindekruges“ unter genauester Betrachtung der vorhandenen Bausubstanz wiederbelebt. Originalsteine und traditionelle Baustoffe kamen zum Einsatz. Geborgene Kremp- und Biberschwanzziegel, ein mit dem Amt für Denkmalschutz abgestimmtes Farb- und Ausführungskonzept sowie eine schonende Sanierung der Ziegelfassade ließen den maroden Bau in Rekordzeit wieder in neuem Glanz erstrahlen. Auch die Außenanlage wurde erneuert und neu bepflanzt. Bei der Umsetzung arbeiten die beiden Dachdeckermeister eng mit dem Amt für Denkmalschutz sowie mit dem Bau- und Ordnungsamt der Gemeinde Nordharz zusammen.

„Eigentlich wollten wir in der oberen Etage auch den historischen Tanzsaal wieder herrichten“ erklärt Patrick Meyer „doch die Auflagen hierfür hätten für uns enorme zusätzliche Kosten bedeutet. So haben wir uns entschieden, die Etage zu zwei geräumigen Wohnungen auszubauen.“ Beide Wohnungen wurden kurz nach Fertigstellung bezogen. „Wir hatten über zehn Anfragen für die neuen Domizile“, freut sich Patrick Meyer über das Echo in der Gemeinde. Dieses fällt in der Tat durchweg positiv aus. „Die Eröffnung glich einem Volksfest. Alle waren neugierig, was aus dem „Krug“ geworden ist“, erinnert sich Hartmut Busch. Oft werden die Dachdeckermeister von Bürgern und möglichen Auftraggebern auf den Gemeindekrug angesprochen. Seit dem Projekt sind die Brüder Meyer und ihr Unternehmen auch über die Grenzen des Ortes bekannt. Patrick Meyer freut sich: „Das Projekt hat unser Unternehmen deutlich vorwärts gebracht.“

Im Erdgeschoss des „Kruges“ haben Anfang 2011 ein Frisiersalon, ein Kosmetikstudio und eine neu gegründete Physiotherapiepraxis ihren Betrieb aufgenommen. Damit sind im „Krug“ bisher sechs Arbeitsplätze entstanden. Auch der neuangelegte Außenbereich lädt zum Verweilen und Plaudern ein. Die aufwändige Zusammenarbeit zwischen der Grundstücksgesellschaft, den Handwerksbetrieben, den gewerblichen Nutzern, und den Fördermittelgebern ist mittlerweile Vorbild für weitere Vorhaben in den Nachbargemeinden. Auch Hartmut Busch denkt an eventuelle Nachfolgeprojekte: „Vor allem junge Familien suchen in Heudeber seit einigen Jahren vermehrt Wohnungen. Dabei setzen wir bewusst auf die Sanierung alter Gebäude zur Belebung des Ortskerns, anstatt Neubaugebiete auf der grünen Wiese auszuweisen“, bekräftigt der Bürgermeister der Harzgemeinde. Da passt es, dass die Brüder Meyer in ihrer Freizeit momentan bereits wieder ein altes Fachwerkhaus zu neuem Leben erwecken. „Diesmal aber“, so meint Patrick Meyer mit einem Augenzwinkern, „wollen wir uns ein wenig mehr Zeit lassen.“

Der ELER trägt in Sachsen-Anhalt mit rund 904 Millionen Euro EU-Mittel - ein Viertel der gesamten dem Land von der EU zugewiesenen Fördergelder - dafür Sorge, dass die Entwicklung des ländlichen Raums sich als integraler Bestandteil der Gesamtpolitik für Beschäftigung und Wachstum vollzieht. Zusammen mit der nationalen Kofinanzierung stehen öffentliche Ausgaben in Höhe von 1,16 Milliarden Euro bereit. Zusätzlich will Sachsen-Anhalt 240 Millionen Euro aus dem Landeshaushalt beisteuern, so dass das Land rund 1,326 Milliarden Euro für die Entwicklung des ländlichen Raums einsetzen kann.