Menu
menu

Der Klang der Weite

Birkholz bietet Raum für musikalische Bestleistungen – und das Entspannen danach

(von Bianca Kahl)

Carlotta und Martin von Gehren wohnen in einem alten Gutshaus in Birkholz in der Altmark. In ihrem Wohnzimmer stehen eine Harfe und ein Cello, in der Ferienwohnung im Erdgeschoss ein Flügel. Das Ehepaar hat ein großes Herz – insbesondere für Musiker und Musikerinnen. Carlotta von Gehren engagiert sich in einem Verein namens „Yehudi Menuhin Live Music Now“, der junge Künstler und Künstlerinnen und ihre Musik in Krankenhäuser, Altenheime und Gefängnisse bringt. Dorthin, wo Menschen leben, die keine Konzerte mehr besuchen können. „Musik heilt, Musik tröstet, Musik bringt Freude“, ist ein Zitat des bekannten Geigers und Humanisten Menuhin.

Doch Musik bringt nicht jederzeit und allen Menschen Freude, besonders wenn Ensembles die großen, berührenden Stücke immer und immer wieder gemeinsam üben müssen. „Das macht richtig Krach“, sagt Carlotta von Gehren. Sie kann ein Lied singen von Künstlern und Künstlerinnen, die nachts in der eiskalten Kirche proben, um möglichst niemanden zu stören. Besonders in belebten Großstädten haben Musiker und Musikerinnen häufig nur wenig Platz, sind sehr eingeschränkt oder einfach nur von anderen Dingen abgelenkt. Ihnen möchten von Gehrens Raum geben, um sich frei zu entfalten. „Am liebsten bitte das Fenster ganz weit aufmachen beim Proben!“, fordern sie ihre Gäste auf, die in der Ferienwohnung verweilen. „Und nutzen sie auch unseren schönen Park mit den alten Eichen! Dann sitzen wir auf dem Balkon und hören zum Beispiel Gitarrenklänge. Das ist so wunderschön.“ Außerdem schätzt das Paar den Austausch mit seinen Besucherinnen und Besuchern. Bei Bedarf lädt die Hausherrin auch schon mal zum gemeinsamen Abendbrot ein.

Aktuell haben von Gehrens viele Musiker und Musikerinnen zu Gast, die tagsüber mit Mohi Buschendorf arbeiten. Der Funktechniker und studierte Bassist hat sich keine zwei Kilometer entfernt mitten im Wald ein Tonstudio ausgebaut. „Aus ganz Deutschland kommen Musiker und Musikerinnen für ihre Aufnahmen in die Altmark – wegen diesem Mann“, sagt Martin von Gehren. „Weil er ein ausgezeichnetes Gehör hat und weil er dafür bekannt ist, dass er das Allerletzte aus Menschen herauskitzeln kann. Dann sitzen sie abends völlig fertig bei uns und sagen ,Der zwiebelt uns zu Höchstleistungen.‘“

Dann verbringen die Gäste Stunden auf engem Raum im Waldhausstudio, probieren bis zur Erschöpfung. In der Ferienwohnung im Gutshaus können sie sich anschließend aus dem Weg gehen und entspannen, Zeit mit ihrer Familie verbringen. Oder weiter üben, wenn sie es denn wollen. „Wir können auch unsere Harfe nach unten tragen“, bietet Carlotta von Gehren an.

Von Gehrens haben 2008 ein ehemaliges Gutshaus der Familie von Bismarck gekauft und aufwendig saniert. „In diesem Gebäude war schon alles: ein Flüchtlingsheim, ein Postamt, ein Badehaus, eine Schule“, erzählt Martin von Gehren. Zuletzt sei es von der Gemeinde genutzt worden, doch seit diese ein neues Dorfgemeinschaftshaus gebaut hat, stand das historische Gutshaus leer und ihm drohte der Verfall. Vor vier Jahren dann ersteigerte es das Ehepaar aus dem Ruhrgebiet, machte Birkholz zu seinem neuen Zuhause – und sah von Anfang an das Potenzial der Region.

Ursprünglich wollten von Gehrens gemeinsam mit Freunden in das Gutshaus einziehen. Doch als diese abgesprungen sind, richteten sie im Erdgeschoss kurzerhand die luxuriöse Ferienwohnung ein: 155 Quadratmeter, mit sechs Betten, zwei Bädern, einer Küche – und einem Stutzflügel im Wohnbereich, direkt vorm antiken Kachelofen.

Für die Sanierungsarbeiten gab es Unterstützung aus dem Europäischen Landwirtschaftsfonds zur Entwicklung des ländlichen Raums (ELER): Für die Außenfassade, den Einbau des zweiten Badezimmers in der Ferienwohnung und die Anlage einer Terrasse flossen 16.000 Euro Zuschüsse, davon allein rund 13.000 Euro von der EU. Insgesamt kosteten diese Maßnahmen etwa 50.000 Euro.

Die Ferienwohnung bietet Raum für ganz neue Ideen in Birkholz. Dieses Jahr möchte das Ehepaar ein Aufenthaltsstipendium für Musiker und Musikerinnen etablieren, um die Region kulturell weiter zu beleben: Freies Wohnen und somit viel Platz und Zeit zum Proben. Am Ende „bezahlt“ man mit einem öffentlichen Konzert. Zudem gibt es eine Kooperation mit den „Altmarkfestspielen“: Eine Plattform für klassische Konzerte an ungewöhnlichen Orten.

Im Dezember fand im Foyer des Gutshauses bereits ein Adventskonzert mit rund 35 Zuhörern statt. „Viele von ihnen kamen aus dem Ort und sie waren ganz begeistert. So kommt man auch mal ins Gespräch“, sagt Martin von Gehren. Für die wärmeren Monate ist eine Veranstaltung im Park geplant. Deshalb möchte das Ehepaar die Anlage gern noch schöner gestalten. Es hofft auf weitere Fördergelder, um eine begrenzende Hecke anzulegen.

Mit Hilfe des ELERs möchten die beiden ihren Beitrag leisten, um die Region ein Stück attraktiver zu machen. Die Altmark sei zwar noch keine typische Touristengegend, doch das liege eher an der mangelnden Bekanntheit als an ihren Reizen, sind sich von Gehrens sicher. Sie selbst haben Birkholz als ihren Alterssitz gewählt, weil es so nahe an Berlin liegt. „Dort haben wir häufig zu tun. Wenn man in Tangerhütte den richtigen Zug auswählt, ist man in einer Stunde dort. Und wir lieben einfach den Kontrast zwischen dieser faszinierenden Metropole Berlin und der Ruhe und Ungestörtheit hier auf dem Land“, schwärmt Carlotta von Gehren.

Im Januar kämen eher Jagdgäste zu ihnen ins Gutshaus. Ab März kündigten sich dann die ersten Kundinnen und Kunden von Mohi Buschendorf an. Und die werden immer zahlreicher. Als der Bassist sein Tonstudio Ende der 90er Jahre ausbaute, kamen zunächst nur Freunde zu „Mohi“, der eigentlich Klaus Ehrhard heißt. Sie wussten von seinen guten Konzertaufnahmen. Doch später fragten immer mehr Künstlerinnen und Künstler nach und der Musiker baute sein Waldhaus Stück für Stück weiter aus. Es gibt eine Küchenzeile, ein Badezimmer, drei Aufnahmeräume.

Mittlerweile sind in Birkholz über 100 CDs in den unterschiedlichsten Genres entstanden – von akustischen Gitarrenstücken über Tango, Jazz, Pop bis hin zu Salsa. Mohi Buschendorf hat sie an den Wänden zwischen den Fenstern angebracht. Allein vier Alben sind seit 2011 für den Preis der Deutschen Schallplattenkritik nominiert worden. So auch die Indie-Folk-Platte „Immer Meer“ von „Titus Lang und der Groschencombo“ und die „Kleinstadtrhapsodien“ von der Stendaler Band „Nobody Knows“. Auf der CD „Panamericana“ von „Hands on Strings“ findet sich das Stück „House in the woods“ – eine spontane achtminütige Improvisation, inspiriert vom Birkholzer Umfeld.

www.gutshaus-birkholz.de
www.waldhausstudio.de
www.altmarkfestspiele.de