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Europa-Rosarium - Die Verwalter der Schönheit

Das Europa-Rosarium in Sangerhausen erhält Tausende Rosensorten

(Bianca Kahl - 20.09.2017)

Eine Dame beugt sich anmutig zu üppigen, rosafarbenen Blüten hinab und schnuppert an ihnen. Ihr Mann fotografiert es. „Sharifa Asma“ steht auf einem Schildchen vor dem Rosenstrauch – eine pflegeleichte, englische Sorte, die mehrmals im Jahr blüht und dabei nach Trauben und Maulbeeren duftet. „Schau mal, wie bei Rosamunde Pilcher“, sagt währenddessen eine Seniorin zu ihrem Partner und zeigt auf die rote Backsteinskulptur einer Frau mit lockigem Haar und Rosenbouquet in den Händen. Dahinter eilt ein Mann mit Klemmbrett vorbei. Es ist Thomas Hawel, der Leiter des Europa-Rosariums in Sangerhausen.

Der Arbeitsplatz von Thomas Hawel ist einer der schönsten Gärten Deutschlands: rund 8 200 verschiedene Rosensorten und etwa 450 Wildrosenformen auf 13 Hektar – die mit Abstand größte Sammlung der Welt. Der Mann ist umgeben von Farbenpracht, süßen Düften und Blüten, die mitunter so groß wie Kohlköpfe werden können. Doch während jedes Jahr bis zu 120 000 Gäste an den Führungen teilnehmen, die vielen Veranstaltungen besuchen oder einfach durch die Schaugärten flanieren, geht es hinter den Kulissen weniger genüsslich zu. „Unsere Arbeit ist es, die genetischen Informationen zu erhalten“, erklärt Thomas Hawel nüchtern. Mit seiner Mitarbeiterin Gerhild Schulz trifft er sich vor dem Rambler „White Flight“: Übersät mit kleinen weißen Blüten rankt sich die Pflanze an mehreren Fichtenstämmen empor, die in Form einer Pyramide aufgestellt sind – ein typisches Bild in Sangerhausen.

Genetische Informationen erhalten

Thomas Hawel und Gerhild Schulz sind verantwortlich für die „Genbank Rose“, eine Art Bibliothek des Lebens, die stetig wächst. Bisher enthält und erhält sie die genetischen Informationen von etwa 3000 Rosensorten – in Form von lebenden Pflanzen. „Die Genbank ist hier“, sagt Thomas Hawel und zeigt um sich in das Blütenreich. Bis zu 70 botanische Merkmale nehmen die beiden über das Jahr von den Pflanzen auf – von der Bestachelung der Zweige bis hin zu den Eigenschaften der Hagebutten. Alles wird notiert, fotografiert und archiviert. „Außerdem brauchen wir den sogenannten Herbarbeleg. Dafür sammeln wir Teile der Pflanze. Das kann man sich wie beim Herbarium in der Schule vorstellen“, erklärt Hawel. Gemeinsam mit dem Leibniz-Institut für Pflanzengenetik in Gatersleben macht es das Rosarium möglich, dass sich Wissenschaftler aus der ganzen Welt Pflanzenteile einer Rosensorte anfordern können. Sie schneiden sich dann kleine Partikel mit dem Skalpell ab, um sie genetisch zu untersuchen.
Solche Genbanken hat die internationale Staatengemeinschaft auf der ganzen Welt aufgebaut, um die Informationen für die Nachwelt zu erhalten. „Alles, was für die menschliche Ernährung wichtig ist, ist bereits gesichert“, so Thomas Hawel. „Also dachte man sich, dass man nun mit Zierpflanzen anfangen könnte.“ Weil die Rose wirtschaftlich am bedeutendsten und gleichzeitig sehr vielfältig ist, steht sie ganz oben auf der Liste.

 

Die Rettung der Rose

Bereits in der Vergangenheit setzte sich das Rosarium für die Rettung der Rosen ein. Es wurde im Juli 1903 gegründet, um alte Sorten vor dem Aussterben zu bewahren. Damals waren die chinesischen Gartenrosen gerade dabei, die europäischen Sorten vom Markt zu verdrängen, denn sie blühten mehrmals im Jahr und eroberten die Herzen mit einer größeren Vielfalt an Farben. Doch die einst importierten Sorten und ihre Hybride sind oft auch empfindlicher gegen Krankheiten und Frost.
Hawel steht vor einem Beet mit Rosenstöcken, das nicht gerade zu den Publikumsmagneten gehört: Die Pflanzen sehen relativ mickrig und teilweise auch ziemlich angegriffen aus. „Oft fragen uns die Leute, warum wir diese Pflanzen hier stehen lassen. Doch das steht gar nicht zur Diskussion. Alles, was einmal Eingang in die Sammlung gefunden hat, wollen wir auch erhalten“. Dafür nehmen die 34 Mitarbeiter viele Mühen auf sich. Das Rosarium hat außerhalb des Schaugartens einen großen Acker gepachtet, auf dem 14 000 Rosen veredelt werden: für die Nachpflanzungen. Ganz seltene Sorten stehen gleich an mehreren Standorten.

Der ELER hilft, die Genbank zu erhalten

Außerdem gibt es „doppelte Böden“ für den Fall, dass doch einmal eine Rosensorte in Sangerhausen eingeht: Die Einrichtung arbeitet mit vielen Partnern wie dem Bundessortenamt Hannover, dem Deutschen Rosarium in Dortmund und Europas Rosengarten im pfälzischen Zweibrücken zusammen. An mehreren Orten gedeihen Ableger von Rosen aus der Sangerhausener Sammlung, auch in Privatgärten: „Es gibt Leute, die zum Beispiel in der Sparkasse arbeiten, aber sich aus einer Leidenschaft heraus ihr Leben lang auf die Züchtung von Portlandrosen spezialisiert haben. Denen vertrauen wir auch unsere Sorten an.“ Bei Bedarf bitten die Fachleute dann darum, einen Steckling zurück zu erhalten.
So kommt es, dass hier die Anzahl der Rosensorten über die Jahre nicht etwa schrumpft. Im Gegenteil: Jedes Jahr wird die Sammlung erweitert. „Das Rosarium hat zwei Weltkriege und die DDR überlebt. Die finanziellen Ressourcen waren also schon immer knapp. Trotzdem sind wir mit der Zeit immer größer geworden“, sagt der Leiter, dem man den Stolz anmerkt: „Es ist eine große Leistung, dass sich eine kleine Stadt wie Sangerhausen solch einen Rosengarten als Aushängeschild bewahrt." Unterstützung erhält die Stadt dabei aus dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER): Sechs Jahre lang kommen dem Rosarium insgesamt rund 460.000 Euro zugute, um die Genbank zu erhalten und auszubauen.
Dies wissen Rosenliebhaberinnen und -liebhaber aus der ganzen Welt zu schätzen. Es gibt Gäste, die eigens aus den USA oder aus Japan anreisen, um eine Woche in Sangerhausen zu verbringen. Als „Mekka der Rose" bezeichnete es gar der Weltverband der Rosengesellschaften. Internationale Kooperationen ermöglichen unter anderem den wissenschaftlichen Rat der University of London und des größten deutschen Fachhändlers Kordes Rosen.

Der Name der Rose und ihre Sortimentsnummer

Gerhild Schulz und Thomas Hawel gehen zurück in ihr Büro im Verwaltungsgebäude. Eine schmale Wendeltreppe führt hinauf in ein abgelegenes Zimmer. Doch hier oben schläft nicht etwa Dornröschen. Gerhild Schulz zeigt an ihrem PC, was mit den vielen Informationen passiert, die sie im Rosarium sammelt: Sie werden in einer großen Datenbank online gestellt, in der jeder nachrecherchieren kann. Dass Damaszener Rosen für Duftöle verwendet worden sind, Hundsrosen eher in den Wäldern wachsen und Kartoffelrosen eigentlich aus Ostasien kommen und an den deutschen Stränden die einheimischen Dünenrosen verdrängen – das kann man hier leider noch nicht nachlesen. Es sind Themen, über die Thomas Hawel aus dem Stegreif referiert. Doch wer unter http://datenbank.europa-rosarium.de den Namen der Rose eingibt, für die er sich interessiert, erfährt ihre wichtigsten Eigenschaften. Außerdem die Verwendung, den Züchter und eine dreigliedrige Sortimentsnummer, die Herkunft und Standorte anzeigt – für die besonders leidenschaftlichen Zahlenliebhaber.
Die meisten Menschen hingegen werden fasziniert bleiben vom Aussehen der Rose. Sie lassen sich eher von ihrem Duft und ihrer Schönheit dazu verführen, diese mannigfaltigen Blumen zu erhalten. An der Wand in Gerhild Schulzes Büro hängt ein Poster. „Vielfalt ist verführerisch“ steht darauf. Man sieht einen Apfel, der aus unterschiedlich aussehenden Scheiben besteht. Nicht nur die Gattung Rosa L. gibt es in verschiedenen Arten und Sorten.