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„Schule muss cool sein“

Die Evangelische Sekundarschule Haldensleben wird zum Passivhaus

- Text und Bilder von Bianca Kahl -

„Natürlich geht es um Energie. Aber es geht vor allen Dingen um Kinder. Um das Bauen für Kinder“, sagt der Architekt Ulrich Kirchner, als er über die Baustelle in Haldensleben führt. Die Evangelische Sekundarschule ist bereits das 21. Schulgebäude, das nach den Plänen des Büros „Kirchner + Przyborowski“ umgebaut wird.
Keine hundert Meter weiter dröhnen die Bohrer und Presslufthammer am Gebäude einer Grundschule, ebenfalls unter seiner Federführung. Beide Schulen sind zu DDR-Zeiten im sogenannten „Typ Erfurt“ gebaut, also als Plattenbauten, die von oben betrachtet dem Buchstaben H ähneln, nur dass sie zwei „Querstreben“ haben. Ein Bautyp, mit dem Kirchner Erfahrung hat.

Der „Typ Erfurt“ ist im nördlichen Sachsen-Anhalt weit verbreitet, aber hat seine Schwächen. Kirchner spricht von „funktionalen Problemen“. So sei das Gebäude mit seinen vier Treppenhäusern sehr unübersichtlich und mache es gar nicht so leicht, sich zu orientieren. Doch das größere Problem liege in der riesigen Oberfläche nach außen hin. Schließlich hat jeder Teil des großen „H“s im Grunde nach allen Seiten eine Außenwand. Untragbar nach heutigen Richtlinien. Denn viel Oberfläche bedeutet viel Wärmeverlust. Über Energiekosten von 50.000 Euro pro Jahr berichtet die Schulleiterin Pia Kampelmann. Ansonsten sei das 1984 eingeweihte Gebäude zwar alt, aber sehr gepflegt gewesen. Vor etwa drei Jahren zog die Evangelische Sekundarschule ein. Träger ist die Johannes-Schulstiftung. „Ich würde dem Landkreis Unrecht tun, wenn ich von einem desolaten Zustand des Gebäudes spräche“, sagt Kampelmann.

Auch Kirchner spricht lediglich von einer „technischen und energetischen Verschlissenheit“ und will den Rohbau des Gebäudes nutzen. Er würdigt die Anordnung und Größe der Klassenräume und merkt an: „Mit dem Rohbau sparen wir 30 Prozent der Gesamtkosten im Vergleich zu einem Neubau.“ Die energetische Sanierung kostet insgesamt rund 4,7 Millionen Euro. Davon kommen 2,7 Millionen Euro EFRE-Mittel aus dem Förderprogramm „Sachsen-Anhalt STARK III“.

Mit Hilfe dieses Programms sollen bis 2019 in ganz Sachsen-Anhalt Kindergärten und Schulen nach energetischen Gesichtspunkten modernisiert werden, um Energiekosten zu sparen und so die kommunalen Haushalte zu schonen. Es finanziert sich – abhängig vom jeweiligen Projekt – über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) und aus Landesmitteln. Mit dem Geld sollen auch eine angenehme Lernumgebung geschaffen und die IT-Ausstattung gefördert werden. Die Evangelische Sekundarschule Haldensleben wird bis Ende 2014 zum Passivhaus umgebaut und ist als einzige Freie Schule ein Modellprojekt des Programms.

„Schule muss cool sein“, sagt der Architekt, der selbst Vater von fünf Kindern ist und von ihnen einst genau diese Antwort bekommen hatte. Er selbst findet: „Die Schule muss der tollste Platz in der Stadt sein, damit Kinder gern dorthin gehen. Dann lernen sie besser und der Vandalismus nimmt nachweislich ab.“ Seine Ansichten als Vater spiegeln sich in seinen Entwürfen wieder, über die sich die Schulleiterin Kampelmann gerade mal wieder beugt. „Ein anregendes Umfeld bringt die Schülerinnen und Schüler dazu, weiter zu denken und auch weiter zu fühlen“, findet sie. Sie kennt Kirchners Handschrift aus anderen Schulen, die sie sich angeschaut hatte. Die Entwürfe seien funktional und ästhetisch ansprechend.
Ein großes, lichtdurchflutetes Atrium ist zu sehen, im Hintergrund der Zugang zum schlichten Andachtsraum. Links und rechts über drei Etagen hinweg machen große  Fenster den Blick in die Räume frei. Die Linien sind klar, das Dach ist durchsichtig. „Alles wird transparent“, freut sich die Schulleiterin. „Das entspricht meiner Vorstellung von einer Schule. Die Menschen sollen sehen können, was wir hier tun. Auch wenn ich unterrichte, mache ich nie die Tür zu.“ Besonders schön finde sie aber, „dass das Gebäude eine Mitte bekommt, einen vielseitigen Ort der Begegnung.“

Bei der Sanierung wird ein Stockwerk von den höher gebauten Seitenflügeln abgetragen, vorne und hinten bekommt der Bau Außenwände und ein Dach über die gesamte Fläche.  Es entsteht also ein großer Innenraum, die „Mitte“ der Schule. Daran angeschlossen werden sich im Erdgeschoss die Bibliothek, das Speisezimmer sowie der bereits erwähnte Andachts- und Konferenzraum befinden. Letzterer kann auch zur Bühne umfunktioniert werden. Dann öffnen die Lehrkräfte die großen Glasfenster nach außen. Dahinter befinden sich mehrere Sitzflächen, ähnlich einem kleinen Amphitheater.

Insgesamt entsteht durch die Sanierung ein kompakter Quader mit deutlich geringerer Oberfläche, die zudem hochenergetisch gedämmt wird. Zusammen mit der kontrollierten Be- und Entlüftung geht wenig Wärme verloren, sodass häufig gar nicht geheizt werden muss. Das übernehmen überwiegend passive Quellen wie die direkt einfallende Sonnenenergie in die Fenster sowie die Abwärme von elektrischen Geräten und den Menschen. Zudem sind eine Photovoltaikanlage und ein Stromspeicher geplant. Die Stahlbetonfassade erhält eine Verkleidung aus Polycarbonat. „Darunter steckt die alte DDR, aber man kann sie nicht mehr sehen“, sagt der Architekt Ulrich Kirchner.

Acht Kilometer von der Baustelle entfernt, im Ausweichquartier in Hillersleben, hat die achte Klasse gerade Biologie-Unterricht. Die Lehrerin Katja Schulze hebt ein Mikroskop hoch, sodass es alle sehen können, und erklärt die Bestandteile. Wenn die Schule in Haldensleben erst mal fertig ist, wird sie im Fachkabinett nie mehr Kabel ziehen müssen, schwärmt sie. Dann gebe es große Tische mit elektrischen Anschlüssen und für jeden Schüler sei ein eigenes Mikroskop vorhanden. An den Decken werden sich fest installierte Projektoren befinden.

Und wie finden die Schülerinnen und Schüler die Pläne für die neue Schule? Die meisten sind einfach genervt von den Unbequemlichkeiten und Entbehrungen, die das einjährige Ausweichquartier mit sich bringt. Doch dann melden sich doch ein paar und sagen: „Cool.“

www.starkiii.de
www.ev-sekundarschule.de
www.kirchner-przyborowski.de